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Ursachenforschung an der Unglücksstelle in Tegel. Im Bild vorne: Der Hilfsgerätezug, der die dahinter liegende S-Bahn zumindest teilweise wieder auf die Schiene setzen konnte.

© dapd

Exklusiv

Weiche zu früh umgestellt: S-Bahn-Entgleisung offenbar durch menschlichen Fehler ausgelöst

Ursache für die Entgleisung eines S-Bahn-Zugs am Dienstag in Tegel war offenbar ein menschlicher Fehler. Nach Tagesspiegel-Informationen wurde eine Weiche manuell zu früh umgestellt.

Der Fehler ist im Stellwerk passiert: Weil ein Mitarbeiter dort eine Weiche zu früh umgestellt hat, ist am Dienstagmittag eine S-Bahn kurz nach Verlassen des Bahnhofs Tegel auf ein falsches Gleis geraten und entgleist. Fünf Fahrgäste waren leicht verletzt worden, der Triebfahrzeugführer hatte einen Schock erlitten. Offiziell wurde der Fehler im Stellwerk nicht zugegeben; das Eisenbahnbundesamt bestätigte aber, dass sich die Ermittlungen auf „die betrieblichen Abläufe im Stellwerk“ – und auf die Instandhaltung – konzentrierten. Einen technischen Defekt an der Weiche hält man für ausgeschlossen. Die S-Bahn will am Sonnabend nach der Reparatur der stark beschädigten Gleise auch wieder Züge über die Weiche fahren lassen.

Zum Zeitpunkt des Unfalls waren zwei Fahrdienstleiter auf dem Stellwerk, ein 52-jähriger Mann und eine 44-jährige Frau. Normalerweise ist das Stellwerk nur von einer Person besetzt. Warum zwei Mitarbeiter Dienst machten, teilte die Bahn nicht mit. Erst müssten die Ermittlungen abgeschlossen sein, sagte ein Sprecher.

Möglicherweise hängt die Doppelschicht mit den Auswirkungen eines Blitzeinschlags in Sicherungsanlagen der Bahn in der Nacht zu Dienstag zusammen. Die S-Bahn hatte danach den Betrieb zwischen Hennigsdorf und Tegel unterbrochen, am Morgen dann aber wieder aufgenommen. Wenige Stunden danach kam es zum Unglück.

Die Bilder von der Unglücksstelle in Tegel:

Nach Tagesspiegel-Informationen funktionierten durch den Blitzeinschlag die sogenannten Gleisfreimeldeanlagen nicht mehr, die dem Stellwerker zeigen, in welchem Abschnitt des Gleises ein Zug fährt. Die Anzeigen leuchteten alle rot. In diesem Fall muss sich der Stellwerker auf anderen Wegen überzeugen, dass das Gleis frei ist, bevor er Signale und Weichen stellt. Dies ist ein übliches Verfahren, durch das die Sicherheit gewährleistet bleibe, heißt es bei der Bahn. Deshalb habe der Verkehr trotz des Blitzeinschlags in die Sicherungsanlagen wieder aufgenommen werden können.

Am Tag danach wurden die Wagen auf die Schienen gehoben, jetzt wird das Gleisbett repariert. Und die Ermittler richten ihren Blick auf die Ereignisse im Stellwerk.
Am Tag danach wurden die Wagen auf die Schienen gehoben, jetzt wird das Gleisbett repariert. Und die Ermittler richten ihren Blick auf die Ereignisse im Stellwerk.

© dpa

Die beiden Stellwerker sollen von einem Monteur, der im Relaisraum des Stellwerks arbeitete, gebeten worden sein, die Weiche „so früh wie möglich“ umzustellen, um die Funktion zu überprüfen. Vor dem Stellen der Weiche hätten sich die Stellwerker durch einen Kontakt mit dem Triebfahrzeugführer oder mit der Abfertigung auf dem nächsten Bahnhof überzeugen müssen, dass die S-Bahn den Weichenbereich verlassen hat, sagte ein Insider. Vom weit entfernten Stellwerk aus ist die Unglücksweiche nicht zu sehen. Da die Kontrolle offensichtlich unterblieben war, wurde die Weiche in dem Moment umgestellt, in dem sie von der S-Bahn überfahren wurde. Die ersten beiden Wagen fuhren weiter auf dem regulären Gleis; die vier folgenden dagegen wurden auf das abzweigende Gleis geschickt. Der dritte und vierte Wagen des Zuges entgleisten dadurch und kamen zwischen beiden Gleisen, die mehrere Meter auseinanderliegen, zum Stehen.

Die S-Bahn wies Beschuldigungen der Initiative „S-Bahn-Tisch“ als „Unsinn“ zurück, nach denen alle Indizien auf einen Achs- oder Radbruch als Unfallursache hinwiesen. Die Initiative hatte sich auf vertrauliche Kreise aus dem Unternehmen berufen. Spekulationen hinsichtlich der Unfallursache seien weder sachdienlich noch hilfreich, sagte S-Bahn-Geschäftsführer Peter Buchner.

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Mit diesem Foto will die Bahn belegen, dass es keinen Achs- oder Radbruch an dem entgleisten Zug gegeben hat, wie teilweise vermutet worden war.
Mit diesem Foto will die Bahn belegen, dass es keinen Achs- oder Radbruch an dem entgleisten Zug gegeben hat, wie teilweise vermutet worden war.

© Deutsche Bahn

Noch in der Nacht zu Mittwoch hatten die Bergungsarbeiten begonnen. Ein aus Leipzig angeforderter Eisenbahnkran hob die entgleisten Wagen auf die Schienen. Drei Wagen waren am Mittag bereits abtransportiert, zwei weitere sollten am Nachmittag folgen. Der sechste ist so stark beschädigt, dass er wahrscheinlich nur mit einem Spezialfahrzeug über die Straße ins Werk gebracht werden kann, sagte S-Bahnchef Peter Buchner gestern an der Unfallstelle.

Sehen Sie hier ein Video von der Unglücksstelle:

Wie hoch der Schaden ist, könne er noch nicht sagen, sagte Buchner weiter. Bisher stehe auch nicht fest, ob alle Wagen repariert werden können. Hier zählt derzeit jedes Fahrzeug, denn der S-Bahn fehlen nach wie vor Wagen, weshalb sie immer noch keinen Normalbetrieb anbieten kann.

In der Nacht zu Mittwoch gab’s dann den nächsten Schreck für die S-Bahn. Bei den heftigen Regenfällen sei Wasser in den Relaisraum des Tegeler Stellwerks eingedrungen und habe die Anlagen lahmgelegt, sagte der S-Bahnchef. Deshalb konnten die Züge der S 25 aus Teltow Stadt weiter nur bis zum Bahnhof Schönholz fahren. Buchner hofft, am Donnerstagfrüh wenigstens wieder bis Tegel fahren zu können. So lange sind über 20 Busse unterwegs, die die Bahnhöfe zwischen Hennigsdorf und Schönholz verbinden, wobei die Haltestellen allerdings zum Teil nur schwer zu finden seien, wie Fahrgäste klagen.

Die Reparatur der Strecke soll bis Sonnabendfrüh abgeschlossen sein. Unter anderem sind Schwellen durch die entgleisten Räder beschädigt worden, das Gleis hat sich verzogen, und die Stromschiene ist auf einer Länge von rund 200 Metern beschädigt.

Weil sich beim Blitzeinschlag auch die Schranken an der Gorkistraße nicht mehr schließen ließen und die S-Bahn zudem mit einem sogenannten Ersatzsignal fahren musste, das nur Tempo 40 zuließ, war der Zug verhältnismäßig langsam, als er entgleiste. Auch Verkehrssenator Michael Müller (SPD), der am Dienstag am Unglücksort war, sagte am Mittwoch, der Unfall hätte schwerwiegendere Folgen gehabt, wenn der Zug schneller gefahren wäre. Dass es nur leicht Verletzte gab, sei „Glück im Unglück“ gewesen.

Der Bahnübergang war von einem Mitarbeiter gesichert worden. Derzeit können ihn nur Fußgänger passieren. Für den Autoverkehr ist er wegen Straßenbauarbeiten gesperrt.

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