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Marcus Zander koordiniert seit Monaten die Vorbereitungen fürs Obdachlosenfest. Über den Küchenchef des Hotels Estrel, der die Gerichte für alle Gäste fast zeitgleich fertig hat, sagt er: „Das ist ein Zauberer.“

© Stefan Jacobs

Weihnachtsgans für Obdachlose: Frank Zanders Sohn managt Berlins größtes Weihnachtsfest

Frank Zanders Weihnachtsfeier für Obdachlose ist ein Glücksfall. Dahinter stecken viele Helfer. Zanders Sohn Marcus organisiert die Logistik des heutigen Events.

Da draußen in der Kälte freuen sich ein paar tausend Menschen auf den Höhepunkt ihres Jahres, die von der BVG geschickten Busse drohen sich in einer Baustelle zu verkeilen, die belegten Brötchen für die Helfer brauchen einen gekühlten Platz, und dann macht auf Facebook der Manager der „Fantastischen Vier“ eine Welle, weil unschuldige Gänse sterben müssen, wo doch vegane Bouletten ebenso viel Freude gemacht hätten. „Sorry, ich bin gerade ein bisschen am Ende“, sagt Marcus Zander, reibt sich die Augen und lässt sich auf den Stuhl im kleinen quadratischen Besprechungszimmer eines Wilmersdorfer Altbaus fallen.

Eigentlich ist „Zett Records“ eine Plattenfirma. Aber ungefähr seit Ende der Sommerferien ist sie vor allem die Logistikzentrale für Frank Zanders Weihnachtsfeier. Zum 22. Mal lädt der Künstler an diesem Montag Obdachlose und Bedürftige zum Festtagsbraten ein. Wohl kaum ein Ereignis im gesamten Jahr wärmt viele Berliner emotional so sehr wie diese Feier im Neuköllner Hotel Estrel. Und Marcus Zander ist verantwortlich, dass alles klappt.

Vor ihm liegt der Saalplan, auf dem 256 runde Elfertische verzeichnet sind und am Rand die Stände der Unterstützer und Sachspender: Zuckerwatte, Hundefutter, Fotos zum Mitnehmen, Kinderspielzeug, Strickprodukte. Warme Pullover von der Gewerkschaft der Polizei, 20 von der Innung herbeiorganisierte Friseure. Danone spendet Joghurt, ein Ingenieurbüro 6000 Schokoweihnachtsmänner und mehr, Bastei Lübbe 3000 Bücher, ein Wohlfahrtsverein Schlafsäcke, die Mitarbeiter von Coca Cola 247 Kisten Getränke. Netto organisiert T-Shirts für alle Helfer sowie Lebkuchen und Waffeln, Edeka bringt das Essen.

Frank Zander zeigt schon seit Jahren ein Herz für Obdachlose.
Frank Zander zeigt schon seit Jahren ein Herz für Obdachlose.

© dpa

Und Marcus Zander samt zwei Kollegen koordiniert alle. Der Ablaufplan für den Tag beginnt um 8 Uhr mit dem Aufbau der Dekoration und endet um 19.45 Uhr mit einem Essen für die Helfer im Foyer. 280 machen mit, 700 haben sich beworben, erzählt Zander. Die Nicht-Promis seien mehrheitlich Frauen mittleren Alters. Und die Promis sind in vielen Fällen alte Bekannte: Heinz Buschkowsky, Gregor Gysi. Gewerkschaftschefinnen, Künstler, Moderatoren. Ex-Innensenator Frank Henkel steht ebenso auf der Helferliste wie der Regierende Bürgermeister Michael Müller.

Gerade habe jemand aus der Senatskanzlei angerufen und gefragt, wie sich der Einsatz des Regierungschefs samt Grußwort eintakten ließe. Zander hat ihm signalisiert, dass er nicht zu viele Gedanken an eine Rede verschwenden sollte: „Ich will ihn schwitzen sehen. Jeder, der rumsteht, bekommt von uns relativ elegant gesagt: ,Nun mal los, das ist keine Stehparty!’“

1995 fing es an - mit 250 Gästen

Genau genommen ist es eine Privatparty auf Einladung von Frank Zander in Räumen, die der Hotelier Ekkehard Streletzki zur Verfügung stellt. Deshalb dürfe auf der Party auch geraucht werden, sagt Marcus Zander. Auf Wunsch gebe es auch Bier. Es habe noch nie Ärger gegeben, und die Weihnachtsfeier wäre der falsche Ort, um Erwachsene zu erziehen, findet er. Noch falscher ist vielleicht, wenn ein schwerreicher Rechthaber jenen Menschen das Fleisch madig macht, die nicht immer wissen, wann sie das nächste Mal richtig satt werden. Aber das sagt Marcus Zander nicht, sondern nur: „Ich habe jetzt keinen Bock auf Gelaber.“

Einen Auftritt der Fantastischen Vier bei der Feier fände er gut, aber danach sieht es bisher nicht aus. Dafür bestreiten andere Künstler insgesamt drei Stunden Bühnenprogramm. Frank Zander übernimmt das Finale.

1995 hat der Musiker zum ersten Mal Obdachlose zu einer Feier eingeladen. Damals kamen 250 Menschen, jetzt sind es knapp 3000. „Theoretisch könnten wir doppelt so viele einladen, aber das schaffen wir nicht“, sagt der Sohn. „Ich versuche, das emotional zu kompensieren.“ Zum Beispiel mit Geschenktüten für jene, die kein Einlassbändchen an einer der stadtweit 70 Ausgabestellen – Notunterkünfte, Suppenküchen, Hilfsverbände – abbekommen haben.

"Die dünne Stelle, das sind wir selbst."

Er arbeite in diesen Tagen von morgens um acht bis abends um acht, sagt Marcus Zander. Gestern habe er sich richtig schlecht gefühlt, weil er zu müde war, um mit seinem Sohn Mathe zu üben. Zum ersten Mal! Aber der 15-Jährige weiß, worum es geht, denn er hilft mit wie die ganze Familie Zander. Und nächstes Jahr will er mit seiner Schülerband auftreten.

Frank Zander wird demnächst 75 und ist damit knapp so alt wie der Estrel-Chef. Als alter Neuköllner kennt er Armut aus der Nähe. Marcus Zander, 48, hat sie als Fünfjähriger kennengelernt: „Als ich Heiligabend genörgelt habe, dass ich nicht noch ein Geschenk mehr bekomme, hat mein Vater mich eingepackt und ist mit mir zum Bahnhof Zoo gefahren. Da haben wir dann ein paar Kleinigkeiten abgegeben, und ich habe gesehen, wie wenig andere Leute haben.“

Aber jetzt muss er weitermachen, die Sache mit der Baustelle klären, in der die von der BVG gesponserten Doppeldecker nicht wenden können. Immerhin ist auf seinem Handy gerade ein neues Foto eingetroffen, das den Lkw zeigt, der die nächste Lieferung ins Estrel bringt. An Spenden gebe es keinen Mangel, sagt Zander. „Wenn wir sagen, wir brauchen Becher, haben wir nach fünf Minuten 20 000 Stück. Die dünne Stelle in der Logistik, das sind wir selbst.“

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