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Weihnachtsserie: Adventliche Genüsse für alle Sinne: Vom Himmel hoch

Heiligabend haben sie wieder ihren großen Auftritt: die Turmbläser der Johanneskirche in Lichterfelde. Jutta und Hellmut Hüske sind seit 27 Jahren dabei – mit warmen Klängen und kalten Fingern.

Noch diese letzte steile Holzstiege hinauf, und dann rasch den Kopf einziehen. Hellmut und Jutta Hüske öffnen eine Tür, an deren Rahmen sich schon mancher eine Beule geholt hat. Die schwarzen Trompetenkästen unter den rechten Arm geklemmt, die Taschen mit den Notenbüchern in der Hand, so treten sie alle Jahre wieder hinaus auf die Terrasse unter der Kuppel der Johanneskirche, gemeinsam mit sechzehn weiteren Turmbläsern. Berlin-Lichterfelde leuchtet zu ihren Füßen. Drunten, am Johanneskirchplatz, drängeln sich hunderte Menschen wie bei einer nächtlichen Kundgebung. Viele blicken hinauf. Also rasch die Trompeten, Posaunen, Tuben und Hörner auspacken, Notenständer aufklappen. Los geht’s mit „Tochter Zion, freue dich“. Das spielen sie traditionell zuerst. „Jedes Mal ein erhebender Augenblick“, sagt Hellmut Hüske.

Seit 27 Jahren ist das Ehepaar Hüske schon beim Turmblasen am Heiligen Abend auf der evangelischen Johanneskirche in Lichterfelde West dabei. Pünktlich ab 22 Uhr zusammen mit den anderen Bläsern ihres Posaunenchores. Der gehört allerdings nicht zur Lichterfelder Johannesgemeinde, sondern probt bei der Zehlendorfer Gemeinde „Zur Heimat“ am Teltower Damm. Aber die Terrasse der Johanneskirche, die wie eine Freiluft-Kanzel über dem Platz thront, erschien den Bläsern ideal, als sie 1985 erstmals beim Musizieren so hoch hinaus wollten.

Damals waren die Hüskes schon routinierte Trompeter. Er hatte als Neunjähriger in den frühen Fünfzigern im Elternhaus bei Bernau begonnen: richtiger Lippenansatz, Atmung, Bauchmuskeln. Er wollte ja seinem Lieblingsinstrument den „ganzen Reichtum der Trompetenklänge und -farben“ entlocken. Sie verliebte sich in ihn, als sie 22 war – und fand auch bald am Trompetenspiel Gefallen. „Das erste Jahr war ich Juttas Lehrer“, sagt Hellmut Hüske schmunzelnd.

Ab da gingen sie gemeinsam zur Probe. Er arbeitete als Radiologe, sie als Energieberaterin. Das Paar bekam zwei Kinder; beinahe wäre es der Beginn einer kleinen Trompeter- und Posaunendynastie geworden. Denn auch Sohn Bernd begeisterte sich für ihr Blasinstrument, machte sogar das Diplom als Orchesterposaunist, wechselte danach aber zur Medizin. Dennoch: In der Heiligen Nacht steigt er regelmäßig mit seinen Eltern die Stiegen in der Johanneskirche hinauf. Und vielleicht kommt in ein paar Jahren im Gefolge der Großeltern auch noch ein kleiner Turmbläser mit; ihr achtjähriger Enkel nimmt schon Posaunenstunden.

Jutta Hüske klappt in ihrer Wohnung den Trompetenkasten auf. Da ruht das Instrument auf schwarzem Samt. Sanft streicht sie über das silberglänzende Metall, erklärt Interessierten im Wechsel mit ihrem Mann Klappenventile, Stimmzug und Mundstück. Zwei Mitsiebziger, graues Haar, junge Augen. „Kraftvoll kann die Trompete sein, aber auch zum Hinschmelzen leise. Sie gehört zu unserem Leben“, sagt Jutta. In Silvesternächten haben die beiden schon auf dem Balkon musiziert, in Tirol auf Berggipfeln, in Bornholm am Strand. Doch das Turmblasen ist für beide buchstäblich der alljährliche Höhepunkt. Obwohl manche Christnacht sich anfühlte, als hätten sie sich mit ihrer Trompete an den Polarkreis verirrt. Schneetreiben, eiskalter Wind, der Notenständer schwankte, dicke Flocken setzten sich auf die Klarsichthüllen mit den Partituren. Einer wischte, der andere blies. Jeder dick vermummt bis auf die frierenden Fingerspitzen, denn mit Handschuhen kann man nicht spielen. Und was, wenn die Trompetenventile einfrieren? Sie haben schon mal E-Heizer aufgestellt, bis die Kirchensicherungen rausgeflogen sind.

Nach dem Mauerfall blies der Chor auch „Oh Freedom“, das kam gut an. Danach probierten sie jazzige Weisen, mal Choräle, mal Pop. „Aber die Leute wollen am liebsten Weihnachtslieder“, sagen die Hüskes. Wenn ihr Publikum „O du fröhliche“ und „Stille Nacht“ mitsingt und dann applaudiert, haben es die Turmbläser mal wieder geschafft, den Platz in einen Lichterfelder Weihnachtstreff zu verwandeln, bis die Glocken um 23 Uhr zur Mitternachtsmesse läuten. Schon da weiß das Trompeter-Paar, dass es im nächsten Jahr wieder dabei sein will. „Turmblasen“, sagt Hellmut Hüske, „ ist doch eine Art der musikalischen Verkündigung.“

Termine: Posaunenkonzert, Turm-Konzerte, Singen im Stadion

TICKETS FÜRS KONZERT

Das Posaunenkonzert ist heiß begehrt. Seit 60 Jahren spielen bis zu 250 Berliner Blechbläser jeweils am Sonnabend, 7. Dezember, in der St. Marienkirche in Mitte Advents- und Weihnachtsmusik – und das Publikum singt kräftig mit. Auch die Turmbläser von der Lichterfelder Johanneskirche Hellmut und Jutta Hüske sind mit ihren Trompeten dabei. Es gibt zwei Konzerte: 15 und 17 Uhr. Die Karten kann man zum symbolischen Preis von einem Euro nur in der Marienkirche erwerben. Aber auch diesmal waren sie in kürzester Zeit ausverkauft. Für 30 Leser hat der Tagesspiegel Gratiskarten gesichert. Wir verlosen je 15 Plätze für 15 und für 17 Uhr. Bitte E-Mail mit Namen, Adresse, Telefon bis zum 4. Dezember an: verlosungen@tagesspiegel.de (Kennwort: Posaunen). Die Gewinner werden benachrichtigt.

ANDERE TURM-KONZERTE

Von welchen Kirchtürmen herab Turmbläser in Berlin außerdem spielen? Sonntag, 8.12.,13.30 Uhr: Schöneberg, Zwölf-Apostel-Kirche, Musik aus vier Jahrhunderten. In der Spandauer Altstadt, 18 Uhr, St. Nikolaikirche, Werke von J.S. Bach, A. Guilmant und Weihnachtslieder aus aller Welt.

Heiligabend, 24.12., 22 Uhr: Neu-Westend, Evangelische Kirche, Eichenallee 53. 23 Uhr: Alt-Marienfelde, Posaunenchor auf der Dorfkirche.

SINGEN IM STADION

Im Stadion des 1. FC Union An der Alten Försterei singen am 23.12., 19 Uhr, 22 000 Menschen Weihnachtslieder – natürlich auch viele Union-Fans. Es ist das größte Open-Air-Singen Deutschlands. Im Vorprogramm ab 17.40 Uhr spielen 40 Blechbläser. Eintritt frei.

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