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kerze

© Thilo Rückeis

Weihnachtsserie: Wachs in den Händen

Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – heute darf das erste Lichtlein angezündet werden Adventskerzen können auch philosophische Kunstwerke sein – wie die von Maha Alusi.

„Dialysepraxis“ steht am Haus 10 auf dem Gelände des ehemaligen Oskar-Helene-Heimes in der Clayallee 225–229 noch über der Eingangstür. Dahinter riecht es seit ein paar Tagen nicht mehr medizinisch, sondern es duftet höchst aromatisch nach Vanille, Zitrone, Lavendel und Orange. Sehen kann man die Düfte auch – gegossen in Kunstwerke von „alusi ephemeral art“. So hat Maha Alusi ihre Firma genannt, in der sie ihre vergängliche (ephemere) Kunst entwirft und produziert.

Kunst aus Wachs ist es, mit der die in Bagdad geborene Architektin ihren Kunden eine Reise ins Ich vermitteln möchte. Seit 1993 lebt Alusi, die in London studierte, mit ihrem deutschen Mann und zwei Kindern in Berlin. Die Stadt sieht sie heute als ihre Heimat an, Bagdad dagegen ist für sie „ein Topf der Erinnerung, der meine Geschichte nährt“.

Ihre künstlerische Geschichte begann damit, dass ihr nach ihrem 38. Geburtstag bewusst wurde, dass nichts bleibt, wie es ist. In der geistigen Beschäftigung damit entdeckte sie das Material Wachs. Im Zusammenspiel mit der Flamme damit Zeit erlebbar zu machen, faszinierte die künstlerische Quereinsteigerin. Ihre philosophische Prägung rührt, so erzählt sie, schon von ihren Vorfahren her, die auf der Insel Alus im Euphrat lebten, wo sie als Weise, Heiler und Lehrer der Philosophie bekannt waren.

Um ihre eigene Philosophie von der Vergänglichkeit der Zeit in Wachs auszudrücken, begann Maha Alusi im Keller ihres Hauses in Dahlem zu experimentieren. Erfolgreich. Seit 2004 vertreibt sie die vergänglichen Kunstwerke ihrer Firma „alusi ephemeral art“ in 120 Läden in Deutschland – in Berlin unter anderem im KaDeWe.

Das Geheimnis der filigranen Gebilde aus Wachs hat sie sich inzwischen weltweit patentieren lassen. Die Technologie beruht auf einem Mehrdochtverfahren, das es möglich macht, dass sich die Flamme teilt und die Kerze in unterschiedlich wechselnder Flammenzahl herunterbrennt. Was lag da näher, als auch eine Adventskerze dieser Machart zu entwerfen? Wie schon im Vorjahr wurde auch das diesjährige Alusi-Kunstobjekt zu Advent in den Berliner Mosaik-Werkstätten für Behinderte produziert.

Wer eines der weißen Wachsobjekte – man mag nicht Kerze dazu sagen – erstanden hat und es heute zum ersten Advent anzündet, erlebt ein besonderes Schauspiel. Entfaltet und verändert sich die Lichtskulptur doch von Sonntag zu Sonntag von der ersten bis zuletzt zu vier Flammen und verkündet „Freude, Liebe, Glaube und Hoffnung“ – so hat Maha Alusi die in Wachs gegossene „Schönheit der fließenden Zeit“ genannt, die als Kerze vor 3000 Jahren erfunden wurde – aus Hanf und Stroh, dass man in Fett oder Hanf tauchte.

Ob nun aber mit verzweigtem oder geradem Docht – heute leuchten überall die Kerzen – das erhöht die Vorfreude und stimmt auf das Fest der Feste ein. Schließlich bedeutet das lateinische „Adventus“ nicht anderes als Ankunft. Auch wenn es nicht allen bewusst ist, die heute den ersten Advent feiern – die bevorstehende Ankunft von Jesus ist es, auf die wir uns mit Kerzenschein in der Adventszeit besinnlich einstimmen.

Heidemarie Mazuhn

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