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Berlin: Weiß-blaue Gemütlichkeit am Stelenfeld

Blick in den großen Pavillon am Holocaust-Mahnmal: Allerlei für Touristen von Bagel bis Bratwurst

Am gemütlichsten ist es wohl am Abend, wenn beim Reichstag die rote Sonne immer mehr versinkt, wenn das dunkle Grün des Tiergartens zu leuchten beginnt und die Betonstelen lange Schatten werfen. Dann sitzt man hier, den Maßkrug in der Hand, vor sich den Leberkäs’ , und grübelt nach, über Gott und die Welt. Das „Löwenbräu“ mit braunen Tischen und 70 Terrassenplätzen ist wohl das auffälligste Etablissement in der neuen Ladenzeile aus Holz und Glas an der Cora-Berliner-Straße gegenüber dem Holocaust-Mahnmal. Das Angebot ist auf die Bedürfnisse des schnellen Gastes, der wenig Zeit hat, zugeschnitten, der Wirt im braunen Wams freut sich, dass alles so gut läuft – ein Paar Weißwürste kosten 3,60 Euro, die bayerische Kartoffelsuppe 1,60, vier „Nürnberger“ 2,20. Man speist auf Porzellantellern, und die weiß-blaue Tischdecken tragen einen gedruckten Vermerk, der uns sagen will, dass wir eigentlich vielleicht gar nicht in Berlin, sondern schon ein bisschen in München sind: „1 Quadratmeter original Bayerisches Biergartentischtuch“. Jo mei.

Was das alles mit würdigem Gedenken an diesem Ort zu tun hat? „Gar nichts“, sagt das Ehepaar aus Herne, „wir sitzen hier und gucken uns die Leute an und stillen unseren Hunger, und da drüben, das Mahnmal, ist etwas ganz anderes. Zwischen uns und dem Gedenken verläuft eine Straße, und wenn wir wollen, gehen wir da rüber, wenn nicht, dann eben nicht“. Und dann sagt die Frau noch, dass in ihrer Heimat schließlich „meistens die Kirche gleich neben der Kneipe steht, und da regt sich keiner drüber auf“.

Angefangen hatte alles mit einer Bratwurstbude, die mit Lämpchen und Gardinchen eher auf einen Rummelplatz passte als hier ans Mahnmal. Ein kleiner Sturm der Entrüstung fegte die Bude hinweg und brachte den Besitzer des Grundstücks, das ihm die städtische Wohnungsbaugesellschaft Mitte samt der Wohnhäuser an der Wilhelmstraße verkauft hatte, auf eine Idee: Nicht kleckern, sondern klotzen. So entstand in kurzer Zeit eine Art Ladenkombinat, eine kurze Fußgängerzone, die den Kommerz direkt ans Mahnmal rückt – viel zu dominant und protzig finden es die einen, notwendig die anderen, zu denen auch die Mahnmalsstiftung gehört. Schließlich müssten die Gäste mal dringende Bedürfnisse erledigen, wenn sie am Ort der Information anstehen, und für einen knurrenden Magen sollte auch etwas getan werden.

Da haben sie nun für jeden etwas: Bagels, Kaffee, Schmalzstullen, Riesenbratwürste, das Backwerk eines Kuchen-Konzerns, zahllose Andenken, darunter die Fahnen aller WM-Teilnehmer, einen Geldautomaten. Gibt es vielleicht schon Mahnmals-Souvenirs? Nachgebildete Stelen etwas? Noch nicht. Vorerst sind Stelen-Postkarten vorrätig. Die können gleich, vom Liegestuhl oder vom Kaffeetisch auf der Terrasse, geschrieben werden, viele ausländische Gäste setzen sich ins Internet-Café und mailen ihre Grüße in die Welt, zwei Euro die Stunde. Und ganz kostenlos ist ein Fahrrad zur Stadterkundung – die „bike4free“-Leihstation ist von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

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