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Weiße Ostern: An Blumen fehlt’s noch im Revier

Ostern schlendert man gerne dem Winter davon. Aber wie soll das gehen zwischen Baustellen und Schneeresten? Ein Spaziergang.

Ostern? Nun mal langsam. Das Fest mag für viele ein Grund sein, innezuhalten und durchzuatmen, aber nicht für Berlin – hier wird durchgearbeitet. Wenn die Touristen, die die Stadt gerade wieder bis zum Rand füllen, in die City kommen, landen sie mit großer Sicherheit vor Bauzäunen, Reklameplanen und Abraumhalden. Die östliche Innenstadt pflegt ihr zentrales Bauloch an der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden, während die City West die Ostergäste mit einer wahren Orgie verschiedener Aktivitäten unterhält.

Mutter aller Provisorien ist zweifellos das alte „Haus Wien“ am Kurfürstendamm, das nach einem Jahrzehnt Leerstand schon eine weitere gefühlte Ewigkeit hinter einer fetten schwarzen Sichtblende verschwunden ist. Dahinter soll ein Apple-Flagship-Store entstehen; die Geheimniskrämerei legt sich so nachhaltig über den Bau, als würde dort bereits das übernächste iPhone entwickelt. Gleich rechts daneben ist die komplette Fassade mit einer Jeans-Werbung verhängt, die sich in gleicher Scheußlichkeit auch am Apartmenthaus neben dem Europa-Center findet.

Ein Osterspaziergang durch Berlin führt vorbei an zahlreichen Geschenken: Verpackt ist die Gedächtniskirche, verpackt ist ein großes Wohnhaus gegenüber von Karstadt, verpackt ist das Zara-Modehaus am Tauentzien, verpackt ist das alte Café Schilling, in dem sich H&M angeblich neu erfindet. Verpackt ist das Eckhaus an der Rankestraße, in dem einmal Hugendubel untergebracht war – nun sollen wir uns ganz doll auf „forever 21“ freuen – sicher ein Geschäft, das den beklagenswerten Mangel an Massenkonfektion in der Berliner Innenstadt ein wenig mildern wird. Und den Rest geben der Innenstadt die Bauzäune zwischen Breitscheidplatz und Kantstraße, deren Umgebung dicht mit Staub bedeckt ist, der kein Blütenstaub ist. An Blumen fehlt’s im Revier.

Wäre das Wetter frühlingshafter, würden sicher die Stühle und Tische auf die Straße gestellt. Aber wo geht das überhaupt noch? Vor Bekleidungsgeschäften? Das klassische Fotomotiv, die belebte Kranzler-Terrasse, ist längst verschwunden, ein Stück weiter östlich ist das Mövenpick-Marché durch McDonald’s ersetzt worden, immerhin weiter mit Außenplätzen.

Ostern, so scheint es, wird hier in der Innenstadt eher als verlorener Geschäftstag abgebucht, so wenig ist vom Fest in den Schaufenstern und Dekorationen zu sehen. Ein paar bunte Eier und nicht weniger bunte Hasen stehen im Schaufenster des kitschbetonten Wohlfahrt-Puppenhauses am Joachimstaler Platz; droben in der denkmalgeschützten Verkehrskanzel schlägt die Uhr den ganzen Tag lang zwölf, ein passender Kommentar. Douglas an der Tauentzien gibt sich ein wenig österlich, in den Schaufenstern des KaDeWe ist unter Umgehung des Festes gleich der Frühling ausgebrochen. Sonst: Deko nach Vorschrift. Ist Ostern nur noch was für die Kirche?

Hinzu kommt, dass der Schnee nicht weichen will. Der alte Winter in seiner Schwäche, er zieht sich nur bei Goethe in raue Berge zurück. Die Platanen am Kurfürstendamm stehen so verstockt graubraun herum wie die Linden Unter denselbigen. Droben am Kempinski-Eck hängen, immerhin, Osterglocken frostgehärtet abwärts. Überall häufen sich Eis- und Schneereste, umrandet von unfassbaren Mengen von Zigarettenkippen; unklar, ob sie beim Abschmelzen freigelegt wurden oder aktuell hingeworfen worden sind oder einfach schon immer da liegen.

Erst noch weiter westlich, dort, wo der Ku’damm in den Geschäften feiner wird, wirkt Berlin nicht mehr so verwahrlost. Vor dem frisch eröffneten Cumberland-Haus hat sogar jemand das Eis in großen Placken weggestochen und aufgehäuft, ein Service, der an vielen anderen Orten ausbleibt, was die Passanten zu mancher Rutschpartie zwingt. Vielleicht sitzen auch deshalb so viele Besucher drinnen im „Grosz“, das so aussieht, als sei es schon immer dagewesen. Der winzige Cappuccino kostet 3 Euro 50, es fehlt also nicht an kapitalem Selbstbewusstsein auf diesem Stück des Boulevards, der sich immerhin fast völlig frei von Bauzäunen und Werbeversprechungen für eine glänzende Zukunft zeigt. Hier, so scheint es, funktioniert er schon ganz gut.

Berlin wird mal wieder. Die neuen Häuser von heute sind die Baustellen von morgen, das ist das Grundgesetz der Stadt. Und deshalb wird sie am nächsten Osterfest wieder so ähnlich aussehen wie an diesem. Nur im nächsten Jahr sicher ein ganzes Stück frühlingshafter.

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