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Welt der Spionage: Aus dem Leben einer Ex-Agentin

Sie träumte von Gefahr und schnellen Autos, als sie sich bei der CIA bewarb. Doch Amerikas Geheimdienste haben Lindsay Moran tief enttäuscht. Besuch an einem Ort, wo die Agentenwelt noch in Ordnung ist: dem International Spy Museum in Washington.

Sie wollte sein wie 007. Nur etwas zurückhaltender in Liebesdingen. Vor ihrer Bewerbung bei der Central Intelligence Agency CIA hatte Lindsay Moran, damals 21 Jahre alt, klare Vorstellungen von ihrem künftigen Leben als Spionin: „Immer wenn du in Gefahr bist, ziehst du deinen Füller.“

Sehnsüchtig wirft die drahtige Frau mit den langen dunkelblonden Haaren, mittlerweile 43 Jahre alt, einen Blick auf den silberfarbenen Aston Martin DB5, der im ersten Stock des Spy-Museums in Washington geparkt ist. Das James-Bond-Geschoss ist ausgerüstet mit einer Browning-MG hinter den vorderen Blinkern und schusssicherer Rückwand. „Ich habe gedacht, wir würden alle diese Spielzeuge benutzen“, sagt Moran und deutet auf die vielen Schaukästen. „Aber man bekommt sie gar nicht. In neun von zehn Fällen sitzt du an einem Schreibtisch und sortierst Papiere – und du fährst auch keinen Aston Martin.“

Spione von heute genießen einen schlechten Ruf

Die Spione von heute sitzen vor unfassbar schnellen Computern. Sie wälzen Papiere und hören unendlich langweilige Telefongespräche ab. Vor allem aber genießen sie einen schlechten Ruf. Seit Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die Archive der National Security Agency geöffnet hat, weiß die Welt, dass den amerikanischen Geheimdiensten nicht einmal der heilige Stuhl in Rom als unantastbar gilt. Angeschlagen war das Image ja bereits durch die harschen Verhörmethoden der Bush-Regierung im Kampf gegen Al Qaida. Inzwischen verballhornen Kritiker die Buchstaben der Central Intelligence Agency gerne als Completely Illegal Activities (komplett illegale Aktivitäten). Was den einstigen Stolz der Amerikaner auf ihre Geheimdienste merklich untergraben hat.

Doch einen Ort gibt es in Washington, der verschont geblieben ist vom gewachsenen Misstrauen: Im Spy Museum, keine zehn Blöcke vom Weißen Haus entfert, lebt die Faszination des Gewerbes fort. Da ist die Welt der Schatten noch in Ordnung. Eine Taschenlampenpistole ist zu bestaunen, die im Koffer verborgene Kamera, der zur Pistole umfunktionierte Füller, ein Nachbau des berühmten „bulgarischen Regenschirms“ des KGB. Er erinnert an eine wahre Geschichte: 1978 schlenderte der bulgarische Dissident Georgie Markow durch das regnerische London. An einer Bushaltestelle an der Waterloo-Bridge spürte er plötzlich einen schmerzhaften Stich im Bein. Ein Unbekannter mit Regenschirm hatte ihn angerempelt. Wenig später starb der 49-Jährige. Nicht unbeteiligt dürfte daran eine Kapsel gewesen sein, die mit mit dem Gift Rizin gefüllt war, und die ihm durch den umgebauten Schirm injiziert wurde; im Auftrag des KGB.

Sie robbte durch schlammige Tunnel

Die Welt der Spionage als Spiel. Lindsay Moran sucht sich am Start der Museumstour im weiß getünchten Vorraum des Museums einen Alias aus. „Ich bin Carol Liu“, murmelt sie, die braunen Augen auf eine der Säulen mitten im Raum gerichtet, an der die weißen Blätter mit den vielen Alias-Identitäten hängen. „Ich lebe in den USA, bin Architektin und auf dem Weg nach Wolgograd in Russland. Geboren bin ich in Santa Monica und mache mich für zwölf Tage auf die Reise.“

Mit der romantischen Vorstellung, eine moderne Mata Hari zu werden, ein weiblicher James Bond, war Moran auf die Idee gekommen, zur CIA zu gehen. Nach dem Studium wurde sie aufgenommen. Auf der „Farm“, dem Trainingskomplex der CIA, hat Moran ab 1998 gelernt, wie man mit Autos rückwärts durch eine Mauer bricht. Sie robbte durch schlammige Tunnel, überquerte mit ihren knappen ein Meter 70 hohe Hürden querfeldein, irrte stundenlang in einem Waldgebiet herum und hantierte – wenn auch nach eigenen Erzählungen nicht besonders erfolgreich – mit explosiven Stoffen.

Die süße Schwere des Verrats

Den Spaß mit der ausgedachten Identität spielt sie gerne mit. Die Besucher sollten sie sich ja nur gut einprägen, mahnt eine junge Frau in Museums-Uniform, bevor sie die Gruppe in einen kleinen dunklen Kinosaal bugsiert, sie bräuchten sie noch. Besonders streng schaut sie dabei zwar nicht drein. Aber man merkt, wie die Besucher krampfhaft versuchen, sich auf dem kurzen Weg in den Saal wenigstens noch an den gewählten Namen zu erinnern. Ein kleiner Junge läuft noch einmal schnell zurück.

„Sind wir die geborenen Spione?“ „Ist es die Verführung der Gefahr?“ „Ist es Gier?“ „Ist es Patriotismus?“ Ein kurzer Film führt ein in die Geschichte der Spionage. Hier verschwimmt Fiktion mit Realität: James Bond, der CIA-Agent Aldrich Ames, die Rosenbergs, die für die Sowjetunion das amerikanische Atomprogramm auskundschafteten, Mata Hari, die niederländische Tänzerin in deutschen Diensten. Und noch beim Verlassen des Saals liegt die süße Schwere des Verrats in der Luft.

Die Idee verführt noch immer junge Amerikaner

Auch wenn die Tage des Kalten Krieges längst der Vergangenheit angehören und die großen Spionagefälle heute über die Datenträger von Whistleblowern abgewickelt werden, verführt die Idee noch immer junge Amerikaner. 38 000 Mitarbeiter hat allein die NSA. 14,7 Milliarden Dollar geben die USA jährlich für die Arbeit der CIA aus. Ihre fünf größten Geheimdienste lassen sich die Vereinigten Staaten 45 Milliarden Dollar im Jahr kosten. Das macht 123 Millionen Dollar am Tag. Insgesamt verbraucht das gute Dutzend US-Geheimdienste mit seinen insgesamt 107 035 Angestellten 52,6 Milliarden Dollar für die vier Hauptaufgaben: Datensammlung, Datenanalyse, Unterhaltung ihrer Einrichtungen und Datenausbeutung.

Sie habe die Geschichte von Aldrich Ames, der 1994 der Spionage für die Sowjetunion und Russland überführt wurde, schon immer fasziniert, sagt Moran, während der Einführungsfilm ausklingt. Das war Spionage wie man sie sich ausmalt. Am Rande der Legalität, aufgeladen mit Patriotismus – oder seinem Gegenteil. Spione dürfen, was anderen verboten bleibt. Verrat auf Staatsticket sozusagen. Nichts anderes habe auch ihre Kollegen ins Geheimdienstgewerbe gelockt.

Telefon? Benutzte sie als Agentin kaum

Würden Sie Überwachungssysteme entdecken, verdächtige Situationen erkennen, Zeichen richtig deuten? Nach dem Film werden die Museumsbesucher in die Welt der Tarnung eingeführt. Da sind Bilder von Hohlräumen unter Baumwurzeln, von unauffällig positionierten leeren Cola-Dosen, von klassischen blauen US-Briefkästen.

Wer genau hinsieht, entdeckt ein Kreidezeichen auf einem der Kästen. An interaktiven Geräten kann hier jeder seinen Spürsinn testen. Altmodische Dinge, mag sein. Aber realistisch, behauptet Moran. Das alles hier habe tatsächlich auch noch mit dem Agententum von heute zu tun. „Spätestens seit diesem Jahr wissen wir doch, wie die NSA die Kommunikation überwacht“, sagt Moran. Als Agentin habe sie so wenig wie möglich per Telefon kommuniziert. „Das Handtuch über der Balkonbrüstung war schon immer ein viel sichereres Mittel des Austauschs.“

Es bedarf wenig, um nicht erkannt zu werden

Und die Verwandlungskünste, die ebenfalls auf vielen Bildern in diesem Raum zu bewundern sind? „Sie würden staunen, wie wenig es bedarf, um nicht erkannt zu werden.“ Eine Perücke, eine Brille, vielleicht ein Schwangerschaftskissen unter der Bluse – „und schon erkennt dich die eigene Mutter nicht mehr“. Wer die getarnte Agentin in einem Filmausschnitt ausmacht, muss schnell den Stopp-Knopf drücken und sammelt so Punkte in der virtuellen Geheimdienstausbildung.

„Enigma“ kommt aus dem Griechischen und heißt Rätsel. „Enigma“ nannten im Zweiten Weltkrieg die Deutschen ihre berühmte Rotor-Schlüsselmaschine, mit der das Militär geheime Nachrichten zwischen den Stabsstellen verschickte. Schätzungen gehen von mehreren zehntausend produzierten und eingesetzten Chiffriergeräten aus. Aber der Holzkasten, der im Museum ausgestellt ist, hat den findigen Deutschen wenig Glück gebracht. Die Alliierten konnten den Code immer wieder knacken und lasen die deutsche Kommunikation zumeist mit. Wie das Prinzip funktioniert, kann man in Washington selbst ausprobieren. Im Vergleich zu dem, was die NSA inzwischen zu knacken in der Lage ist, mutet die „Enigma“ allerdings wie ein Relikt aus der Steinzeit an.

Sie wollte ihrem Land dienen. Dann wurde ihr klar: Ich diene der CIA

Lindsay Moran wurde später auf dem Balkan stationiert. Aber für diesen Job brauchte sie weder Sprengstoffe noch ein Dietrichset. Die Arbeit, wie sie sie heute beschreibt, „besteht hauptsächlich darin, Leute zum Verrat an ihrem Land zu überreden“. Moran hatte nie einen Regenschirm, der zu etwas anderem diente, als sie trocken zu halten. Mit ihrem Auto hat sie später auch nie wieder Mauern durchbrochen. Aber gerade deshalb gefällt es ihr im Spy Museum auch so gut. „Es ist cool, es ist so, wie ich es mir immer vorgestellt habe, bevor ich zur Agency kam.“ Da kam es dann alles ganz anders.

Als der damalige US-Außenminister Colin Powell im Februar 2003 vor den UN-Sicherheitsrat trat und der Welt von angeblichen Massenvernichtungswaffen in den Händen des irakischen Diktators Saddam Hussein berichtete, galt Lindsay Moran nicht als Expertin für diese Region. Doch in diesen Tagen wurde jeder gebraucht. Deshalb habe man sie kurzerhand auch der Irak-Operation zugeteilt. Zur Desillusionierung kam nun noch die Enttäuschung: Die CIA habe keine Beweise gehabt, das hätten in der Agency alle gewusst. „Nein, wir hatten noch nicht einmal Indizien.“ Trotzdem habe man den Krieg vorbereitet. Das war für Moran ein Punkt ohne Umkehr. „Ich war zur CIA gegangen, um meinem Land zu dienen. Jetzt wurde mir klar: Ich diene der CIA.“ Im selben Jahr verließ sie die Agency, heute lebt sie als freie Autorin und kümmert sich vor allem um ihre zwei kleinen Kinder.

Sonderausstellung für James Bond

Über die Fehler der CIA oder die Expansion der NSA-Überwachung findet man in der Ausstellung in Washington keine eigene Abteilung. Die harschen Verhörmethoden, jene Form der vertuschten Folter, wie sie die Bush-Regierung angeordnet hatte, spiegeln sich nicht in auch nur einem der Bilder wider. Die Praxis der illegalen Entführungen, „Rendition“, ist dem Museum kein Schaukasten wert. Dafür gibt es eine Sonderausstellung für James Bond.

Bis zu einem „gewissen Grad“ hat Moran Sympathien für Menschen wie Snowden oder auch Bradley (neuerdings Chelsea) Manning, den ein Militärgericht gerade zu 35 Jahren Haft verurteilt hat, weil er 2010 Informationen des US-Militär an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergab. In den Geheimdiensten gebe es keine Mechanismen, gegen Missstände anzugehen. Innerhalb der Dienste sei es verboten, über solche Fragen überhaupt nur zu sprechen. Sicher, was die beiden taten, sei Verrat, dafür sollten sie auch bestraft werden. Aber irgendwie sei sie als Ex-Agentin einem wie Snowden, so unbegreiflich es sein möge, dass er nun ausgerechnet in Russland sitze, auch dankbar. „Wir Amerikaner verdienen es doch auch zu wissen, was unsere Geheimdienste tun.“

Wie viel sollen Geheimdienste dürfen?

Die Dinge, die Snowden ans Licht befördert hat, haben selbst den US-Kongress dazu gebracht, die Kompetenzen der Geheimdienste infrage zu stellen. Sobald er nach dem Shutdown wieder handlungsfähig ist, werden Senat und Repräsentantenhaus erstmals über Einschränkungen der Überwachung beraten. Es scheint, als kämen die Dienste nicht ungeschoren davon. Mehrere Gesetzentwürfe liegen vor, die die Sammlung von Telefon- und Internetdaten stoppen sollen. Zumindest in Amerika.

Am Ende der Ausstellung strampelt der nervöse Neunjährige vor einem kleinen Computer. Wie war noch gleich der Cover-Name, den er sich am Eingang ausgesucht hatte? „Michael?“, fragt er seine Mutter. Die zuckt mit den Schultern. Das Cover, die verdeckte Identität, sagt Moran, sei einer der härtesten Teile des Daseins als Spionin gewesen. „Es macht einsam.“ Dann spult sie ihre Daten lässig ab: „Carole Liu, 42, Architektin aus Santa Monica, auf dem Weg um als Touristin zwei Wochen in Wolgograd zu verbringen.“ Nur fünf Jahre hat sie der Agency gedient. Deren Ausbildung bleibt ihr erkennbar länger erhalten.

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