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Abgesperrt. Bislang legen Bombenentschärfungen das öffentliche Leben lahm. Das könnte sich durch neue Technik bald ändern.

© dpa

Weltkriegsbomben: Roboter soll Gefahr durch Blindgänger verringern

3000 Weltkriegsbomben liegen noch im Boden in Berlin. Bei der Entschärfung müssen oft viele Menschen ihre Wohnungen verlassen. Eine neue Methode kann die Evakuierungen minimieren.

Hunderte Polizisten, die Hausbewohner alarmieren, Notunterkünfte, Verkehrsumleitungen: Solche dramatischen Evakuierungsaktionen nach einem Bombenfund im Erdreich werden voraussichtlich schon in wenigen Jahren nicht mehr nötig sein. Erst vor wenigen Tagen mussten Anwohner und Einkaufsbummler nach dem Fund eines Blindgängers bei Bauarbeiten in der City West einen 250-Meter-Sperrradius verlassen. Zweieinhalb Stunden dauerte es, bis der Sprengkörper entschärft war. Mit einer neuen Methode, die an der Technischen Universität Cottbus entwickelt wurde, hätte der Sperrradius wesentlich kleiner ausfallen können: Dabei macht ein ferngelenkter Roboter die Bombe unschädlich. Über diesen ist eine Schutzvorrichtung gestülpt, die bei einer eventuellen Detonation Splitter und Druck abfangen kann.

Dieses Verfahren stellten die Wissenschaftler erstmals bei einem Workshop vor, zu dem Sprengstoff-Experten aus der ganzen Republik angereist waren. Zugleich kritisierten sie den Senat. Dessen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Lage verborgener Blindgänger zu erkunden und diese vorbeugend zu beseitigen, bevor sie Menschen gefährden können.

Entwickelt wurde die neue Entschärfungsmethode vom TU-Fachbereich Militärische Altlasten. Dessen Leiter, Chemieprofessor Wolfgang Spyra, genießt in Fachkreisen ein hohes Ansehen, weil er die Problematik der Bombenentschärfung auch aus der Praxis gut kennt. Spyra leitete von 1984 bis 1995 die Direktion Polizeitechnische Untersuchungen der Berliner Polizei. In dieser Zeit war er auch für den Sprengplatz Grunewald zuständig.

Der vorige Woche am Bikini-Haus gefundene Blindgänger wurde von Feuerwerkern noch mit der Hand entschärft. Künftig müssen die Experten dieses Risiko aber gar nicht mehr eingehen: Der Roboter der TU Cottbus wird vor seinem Einsatz auf den jeweiligen Bombentyp programmiert, danach öffnet er sekundenschnell mit einem 20 000 Grad Celsius heißen Plasmaschweißstrahl den Bombenmantel und macht den Sprengstoff unschädlich, bevor es zur Explosion kommen kann.

Sollte dieser schlimmste Fall dennoch eintreten, so ist vorgesorgt. „Ein zuvor um den Blindgänger gelegter Schutzmantel fängt die Schockwellen gegen den Boden, die Druckwellen in der Luft und die Splitter ab“, sagt Spyra. Bei der Konstruktion habe man sich Schutzeinrichtungen des Militärs zum Vorbild genommen. 2012 wollen die Wissenschaftler die Methode auf Sprengplätzen erproben und „nach erfolgreichen Testläufen“ den Ländern und Kommunen anbieten.

Eine weitere Herausforderung im Zusammenhang mit der Gefahr im Erdreich ist dann aber noch immer nicht befriedigend gelöst. Dabei geht es um die vorbeugende systematische Suche und Entschärfung der bislang noch etwa 3000 vermuteten Blindgänger im Berliner Boden. Derzeit wertet das sogenannte „Verdachtskataster“ der Bauverwaltung dafür seit etlichen Jahren Luftbilder aus, die von alliierten und sowjetischen Bomberpiloten im Krieg aufgenommen wurden.

Außerdem ist es heute zumindest bei größeren Bauvorhaben laut Verwaltung üblich, dass Kampfmittelräumdienste kommen, bevor der Bagger anrollt. Voran geht auch häufig eine Anfrage beim Verdachtskataster, doch dessen Auskunft wird in der Baubranche und bei Räumdiensten oft als „Persilschein“ empfunden, so ein Insider. In der Regel laute die Antwort, es liege zwar nichts vor, aber man sei sich auch nicht sicher. Der Baubeauftragte des Zoologischen Gartens, Heiner Klös, hielt beispielsweise einen solchen „Persilschein“ in Händen, als 2007 der neue Zoo-Wirtschaftshof errichtet wurde. Klös: „Arbeiter fanden später bei uns noch etliche explosive Granaten.“

Aus Sicht des Experten der TU Cottbus, Wolfgang Spyra, investiert der Senat nicht ausreichend in die Recherchen. Luftbilder reichten als Hinweis nicht aus, man müsse auch die historischen Aufzeichnungen zu den Bombereinsätzen in den alliierten und russischen Militärarchiven auswerten. Oranienburg, wo dauernd Blindgänger auftauchen, habe dies unternommen. Spyra: „In den Aufzeichnungen steht meist genau, wann und wo wie viele Bomben eines bestimmten Typs abgeworfen wurden.“ Der Senat kontert, man bemühe sich schon um eine solche Aufarbeitung, brauche aber Zeit – „wegen des riesigen Stadtgebietes und fehlenden Personals“.

Die Firma „Bayerische Hausbau“, auf deren Areal am Bikini-Haus die Fliegerbombe gefunden wurde, wollte sich von Anfang an nicht auf das Kataster verlassen. Sie beauftragte einen Räumdienst, der auch schon am Olympiastadion und an der Rummelsburger Bucht tätig war, mit der Suche. Die Firma kam mit ihren Probebohrungen und Magnetdetektoren aber nur im Bereich der Spundwände voran. Auf dem übrigen Gelände war das Erdreich laut einem Firmensprecher derart von eisenhaltigem Schutt und „anderen Störelementen“ durchsetzt, dass eine verlässliche Kontrolle unmöglich erschien. Deshalb stand neben dem Bagger dauernd ein Experte mitsamt Detektor und überwachte den Aushub. Dabei kam die Bombe zum Vorschein.

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