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Weltstadt! Auf diesem Sektor macht New York niemand was vor.

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Weltstadt - ja oder nein?: Berlin? Pah, New York!

Doch, das alles hier ist schon ganz nett, mit den kleinen Kiezen und den noch kleineren Cafés. Und doch muss Berlin noch viel lernen, um wirklich Weltstadt zu werden: zum Beispiel Toleranz – und Coolness ohne Neid.

Ich mag Berlin. Doch, seitdem ich im letzten Jahr hergezogen bin, ist es mir gut ergangen. Es ist schön hier, mit den kleinen Kiezen und den noch kleineren Cafés, in denen selbst gemachter Kuchen und Soja Latte serviert werden. Ich mag die Museen und die Freiluftkinos. Sogar die Hipster mag ich, wenn sie mit ihren Jutetaschen über die Schönhauser Allee flanieren. Ich bin heimisch geworden, hätte die Stadt, die so aufregend ist, geschichtsträchtig und zugleich ganz Gegenwart, vielleicht gar lieben gelernt. Wäre ich im Sommer nicht für ein Praktikum nach New York gegangen.

Seitdem weiß ich: Ich mag Berlin. Aber ich liebe New York. Den ganzen Sommer durfte ich den Blick auf den East River vom Fenster meines Büros genießen. Und die Sonne, die die Strände entlang der New Yorker Küste zu einem verlockenden Wochenend-Trip werden lassen. Ich erinnere mich an meinen ersten Ausflug ins Nachtleben. Meine Mitbewohnerin, eine dauerhaft plappernde Latina, lud mich ein, mit ihr und ihren Freunden feiern zu gehen. In großer Runde tingelten wir von Restaurant zu Bar zu Club; kubanisches Essen gefolgt von Apple Martinis gefolgt von Salsatanzen.

New York umgibt eine beschwingte Freiheit

Wie bitte? Das geht auch in Berlin? Vielleicht, aber für mich fühlt sich in Berlin alles anders an, kleiner, missgünstiger. New York umgibt eine beschwingte Freiheit. Nirgends scheint es so einfach, man selbst zu sein. Originalität gehört zum Stadtbild und ist keine bemühte Pose. Sie ist dort so normal wie die Luft zum Atmen. Und ein New Yorker lebt seine eigene Individualität nicht nur aus – er feiert auch jeden, der es ihm gleichtut. Es ist ganz so, als hätte jeder New Yorker ein kleines Post-it am Spiegel, welches ihn morgendlich daran erinnert, einem anderen Menschen zu sagen, wie außergewöhnlich er ist.

Zum Beispiel diese Szene: Ein nackter Mann flitzt über die Straße. Der Regen fällt in Sturzbächen vom Himmel. Vorm Bloomingdales-Kaufhaus stoppt die Polizei den Flitzer, sperrt den Gehweg und schafft ein Handtuch herbei. Während die Passanten an dieser absurden Szenerie vorbeigeleitet werden, ruft eine Polizistin einer Fußgängerin zu: „Einen tollen Haarschnitt haben Sie. Bringt ihr Gesicht schön zur Geltung.“ Die Fußgängerin blickt sich um und strahlt.

Berliner gönnen sich gegenseitig nichts!

Weltstadt? Berlin ist allzu oft allzu kleinlich, meint unsere Autorin.
Weltstadt? Berlin ist allzu oft allzu kleinlich, meint unsere Autorin.

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Und Berlin? Hier sind solche Freundlichkeiten so selten wie der Weihnachtsmann im Juli. Berlin – es ist so frei, so individuell. Doch wehe, es ist die Individualität des anderen. Dann gibt’s Kritik: Hipster mit ihren weit ausgeschnittenen T-Shirts sollten sich bitte etwas anziehen. Tätowierte sehen ja toll aus, aber wehe, das Gestochene ist am Arbeitsplatz sichtbar. Vielfalt: Ja, theoretisch. Akzeptanz, praktisch: zu selten für eine Weltstadt. Und selbst Tätowierte lästern über andere Tätowierte, und Hipster über andere Hipster. Mir scheint, die Berliner gönnen sich gegenseitig nichts. Ohne Beurteilung, ohne Kritik und Meckern kommt keiner davon. Wie kann es etwa sein, dass „Little Italy“ bereits Kultstatus erreicht hat, während von Kreuzberg als „Klein Istanbul“ nur abschätzig gesprochen wird?

New York schert sich nicht um die Vielfalt, Berlin streitet sich drum

Eben diese Attitüde verhindert in Berlin das Erblühen dessen, was New York seit Jahrzehnten zu einer so begehrten Stadt für Künstler, Rabbis und Banker macht: Weltbürgertum. Liebt den Menschen so, wie er ist, denn die Welt ist sein Zuhause. Berlin mag vorübergehend aufgrund moderater Lebenshaltungskosten attraktiv für Künstler und Freigeister nicht zuletzt aus New York sein: Spätestens, wenn dieser Bonus aufgezehrt ist, fehlt wieder das gewisse Etwas, der entscheidende Pfiff, um dem Vergleich mit einer stetig aus sich heraus pulsierenden Metropole gerecht zu werden. Zwar konzentrieren beide Städte die Vielfalt ihrer Gesellschaft auf engstem Raum: verschiedene Religionen, Ethnien und Kulturen. Doch während man sich am „Big Apple“ um diese Vielfalt nicht schert, ist sie im „Dicken B“ ständiges Streitthema.

Ich mag Berlin. Meistens. Vielleicht könnte ich es lieben, würde der Individualitätsfanatismus des Berliners endlich auch über den eigenen Tellerrand hinwegreichen. Vielleicht fehlt es hier einfach an Menschen, die ihren Nachbarn sagen: „Du siehst toll aus!“

Das wäre „New York“-Attitüde: Coolness, ganz ohne Neid.

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