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Berlin: Wen und was eine Fahrerin in Berlin so alles erleben kann

Einfach auf die Straße gehen, kurz warten, spähen, entschlossen vortreten, winken und ein kurzer Ruf: "Hallo Taxi!" So einfach ist das fast überall in Berlin.

Einfach auf die Straße gehen, kurz warten, spähen, entschlossen vortreten, winken und ein kurzer Ruf: "Hallo Taxi!" So einfach ist das fast überall in Berlin. Und dann? Niemand weiß vorher, wer einen in den nächsten Minuten von A nach B bringt. Schließlich gibt es mehr als 6600 Taxis in der Stadt an der Spree, bis zu 8000 Fahrer wechseln sich darin ab, rund um die Uhr. Da gibt es die jobbenden Schlabberlook-Studenten, die Kleinunternehmer in Lederweste, die Schweiger, die Redseligen, die Raucher, die Klassikhörer, die Dauerfunker, die Umwegsucher, die Abkürzungskünstler, die Motzer, die Muffler, die Raser, die Schleicher...

Über Taxifahrer wird gerne geschimpft. Weil sie eben so sind wie sie sind. Weil doch irgendwie immer gerade der Falsche vorbeikommt und hält. Oder die Falsche.

Wer denkt schon daran, dass es den Fahrern ähnlich geht? Dass sie in den ersten Sekunden abschätzen müssen, ob der Fahrgast am Ende einer langen Fahrt abhaut, ohne zu bezahlen? Oder draufhaut, um die Kasse zu klauen?

Taxifahrer haben es nicht leicht. Oft warten sie stundenlang auf die nächste Fahrt. Und jetzt sollen sie auch noch früher Schluss machen. Auf höchstens 48 Stunden in der Woche will die Kommission der Europäischen Union die Arbeitszeit für Taxifahrer europaweit begrenzen. Der Taxiverband Deutschland ist erbost und weist darauf hin, dass viele Taxifahrer bis zu 80 Stunden in der Woche arbeiten müssten, um über die Runden zu kommen.

Unsere Autorin fährt nachts. Was sie dabei erlebt, hat sie hier aufgeschrieben - und sie hat die Fahrgäste einer Nacht fotografiert.

"Ist das nicht gefährlich, als Frau nachts Taxi zu fahren?", ist die Frage die mir am häufigsten von meinen Fahrgästen gestellt wird. Ich versuche dann immer, dem Fragenden und vielleicht auch mir selbst klarzumachen, dass man als Taxifahrer (ob nun als Mann oder als Frau) doch kein potenzielles Opfer ist. Nur weil man im Dunkeln unterwegs ist, mit ein- oder zweihundert Mark in der Tasche in Gegenden am Stadtrand fahren muss, soll man einen gefährlichen Job haben?

Nein, Taxifahrer haben zu ihrer Sicherheit Notknöpfe, Funkgeräte, Kollegen und ihr Köpfchen. Auf letzteres verlasse ich mich am meisten. Denn in meinem Köpfchen werden all die geschickten Fragen formuliert, die mir helfen sollen, meinen Fahrgast genügend zu durchleuchten, bevor wir die einsame Gegend erreicht haben. Mein Köpfchen ist dann ebenfalls dafür zuständig, die Antworten zu analysieren und sich zu vergewissern, dass wir (mein Köpfchen und ich) es nicht mit einem Verbrecher oder Geistesgestörten zu tun haben, sondern mit einem lieben, netten Menschen, der einfach nur nach Hause will.

Was mich bei Fahrgästen immer ein bisschen skeptisch macht, ist eine gewisse Unentschlossenheit. Dann versuche ich dahinter zu kommen, wo diese Unentschlossenheit herrührt. Ob sie vielleicht da herrührt, dass der Mensch noch nicht weiß, ob, wie und wo er mich überfallen soll, oder ob es für die Unentschlossenheit eine ganz plausible, oder zumindest harmlose Erklärung gibt. Dafür bedarf es manchmal schon eines gewissen Fingerspitzengefühls. Denn ich möchte meinem Fahrgast ja nicht das Gefühl vermitteln, dass er sich in einem Verhör befindet. Also dürfen die Fragen nicht zu indiskret sein.

Doch die meisten Fahrgäste sind von sich aus sehr gesprächig. Sie erzählen mir aus ihrem Leben, von ihrem Job, ihrer Familie, ihren Partnerproblemen ... Ich glaube, es gibt kein Thema, das nicht schon mal in einem Taxi behandelt worden ist. Manch einem Fahrgast merkt man an, dass er richtig froh ist, mal ein offenes Ohr gefunden zu haben. Dann wird sich nicht selten für "die schöne Fahrt und das nette Gespräch" bedankt. Das freut natürlich auch mich.

Es gibt beim Taxifahren auch weniger erfreuliche Momente. Es gibt Zeiten, da verfluche ich diesen Job. Dann zum Beispiel, wenn ich nach zwei Stunden am Haltplatz eine Fehlfahrt bekomme, weil der Fahrgast in ein anderes Taxi gestiegen ist oder es sich einfach anders überlegt hat.

Frust kommt auch auf, wenn sich der Fahrgast gerade dann über die Route beschwert, wenn ich mir besondere Mühe gebe, den kürzesten und elegantesten Weg zu fahren. Aber das sind zum Glück Ausnahmefälle, und treten sie mal ein, sind sie auch schnell wieder vergessen. Spätestens dann, wenn an der nächsten Ecke eine nette Frau einsteigt, die mich mit einer langen, teuren Fahrt ins Umland entschädigt.

Alles in allem macht mir das Taxifahren Spaß. Besonders nachts! Denn nachts, wenn die Stadt schläft und ich die Straßen fast für mich allein habe, dann habe ich auch die Muße, meinen Blick ein wenig schweifen zu lassen. In dieser großen Stadt gibt es immer etwas zu entdecken. Hier findet man auch als Taxifahrer immer wieder Ecken, die man noch nicht kennt. Außerdem ist es toll, den Wandel Berlins Tag für Tag mitzuerleben. Der Wandel vollzieht sich ja nicht nur am Potsdamer Platz, auf den alle Augen gerichtet sind, sondern in der gesamten Stadt, in jedem Bezirk. Einfach überall. Und mit meinem Taxi komme ich eben überall hin ...

Maria Neuendorff

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