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Mit 66 Jahren... musste sie natürlich auf Tour gehen.

© Imago

Wencke Myhre in Berlin: Diesmal ohne Gummiboot

Memoiren mit Musik: Schlagersängerin Wencke Myhre stellt heute ihre Autobiographie im Wintergarten vor - eine musikalische Lesung.

Wencke Myhre klingt heiser, als sie ans Telefon geht. Sie befindet sich Backstage in einer kleinen Halle im Großraum Oslo, wo sie heute Abend zwei Stunden spielen wird. Die Tour läuft bereits seit dem Spätwinter, genauer gesagt dem 15. Februar. „Bis zur Sommerpause haben wir 45 Shows gespielt, und danach auch schon wieder über 20“, erinnert sich Wencke Myhre und hustet noch einmal herzhaft. Im Hintergrund klopft es an ihre Garderobentür. Dann ist eine besorgte Männerstimme zu hören. Myhre beruhigt ihn mit zwei Sätzen.

„Das war Anders“, wendet sich die Sängerin dann wieder ihrem Gesprächspartner zu. „Er kümmert sich um mich, damit ich nicht krank werde“, seufzt sie dann. Die Tour, die pünktlich am 15. Februar, dem 66. Geburtstag der Sängerin, startete, führte zunächst in die großen Konzerthallen und Theater des Landes, dann die Inseln vor der Küste entlang, und findet nun ihr Ende. Daran, dass diese Tournee ausgerechnet in diesem Jahr und in dieser Länge stattfindet, ist nicht zuletzt Udo Jürgens schuld. „Mit 33 Jahren habe ich sein Lied ´Mit 66 Jahren` ins Programm aufgenommen“, lacht sie in den Hörer. „Als ich dieses Jahr selbst 66 geworden bin, war klar, dass ich mit dem Lied auf Tour muss.“

Auf der Bühne stand Wencke Myhre zum ersten Mal 1954. Ihr Vater Kjell hatte damals ein Trio, das den Lebensunterhalt für die Familie mit Unterhaltungsjazz erwirtschaftete. Während der Auftritte waren die Kinder backstage. Schon nach wenigen Jahren rebellierte Wencke so energisch dagegen, dass sie mit auf die Bühne genommen wurde. Eine mittlerweile sechs Jahrzehnte umfassende Karriere nahm damit ihren Anfang.

Bereits mit 13 Jahren erhielt sie ihren ersten Plattenvertrag und war in den kommenden Jahren fast ständig in den norwegischen Charts zu finden. Auch in Schweden machte die junge Sängerin bald von sich reden. Spätestens mit der Single „Ich will nen Cowboy als Mann“, die zunächst von Gitte gesungen wurde, gelang ihr auch der Sprung nach Deutschland. Bis Ende der 1970er hatte sie auf dem neuen, größeren Markt einen Hit nach dem anderen, von „Er hat ein knallrotes Gummiboot“ bis „Eine Mark für Charlie“. Außerdem moderierte sie große Fernsehshows, und auch in unvergessenen Filmperlen wie „Unsere Pauker gehen in die Luft“ gab es sie zu bewundern. Die Frau aus Norwegen vertrat Deutschland beim Eurovision Song Contest und bekam mehr Bravo-„Ottos“, als ein durchschnittliches Teenager-Idol tragen kann.

Schon wieder klopft es an die Garderobentür. Diesmal energischer. Wencke Myhre muss ein bisschen länger auf den besorgten Mann einreden. „War wieder Anders“, sagt sie dann liebevoll. „Der will nicht, dass ich krank werde. Und er will nicht, dass ich ihm seine Arrangements kaputtmache.“

Nach drei gescheiterten Ehen - unter anderen mit dem Fernsehproduzenten Michael Pfleghar, der sich 1991 selbst das Leben nahm – und als Mutter von vier Kindern, ist seit einigen Jahren Anders Eljas ihr Partner. Der Mann wurde als Arrangeur von Abba bekannt und leitet die Tourband seiner Freundin.

Nach sowohl beruflich als auch privat schwierigen Zeiten – ihre dritte Ehe wurde 1999 geschieden – entdeckten die Ärzte im Jahr 2010 bei Wencke Myhre Brustkrebs.

„Bei der Therapie habe ich mich für das volle Programm entschieden“, erinnert sie sich. „Chemotherapie, Bestrahlung – es war, als müsste ich einen neuen Nullpunkt in meinem Leben finden.“

Kurz nach der Chemotherapie steht sie schon wieder auf der Bühne

Mit 66 Jahren... musste sie natürlich auf Tour gehen.
Mit 66 Jahren... musste sie natürlich auf Tour gehen.

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Noch im Krankenhaus bekommt sie die Anfrage, bei der Eröffnungsfeier der Ski-WM 2011 zu singen. Dafür geht sie direkt von der Strahlentherapie bei minus 27 Grad auf eine Freilichtbühne, wo sie von 50 000 Zuschauern frenetisch gefeiert wird. Sie muss sich nach dem Auftritt allerdings auch eingestehen, dass sie noch eine längere Zeit der Rekonvaleszenz benötigen wird. Also bleibt sie zuhause, bis eines Tages unangekündigter Besuch vor der Tür steht.

„Ein Freund von mir ist Verleger.“ Sie räuspert ins Telefon, dass man am liebsten in Norwegen wäre, um Anders Eljas zu unterstützen. „Der wollte schon lange ein Buch von mir. Und jetzt sagte er: `Wencke, du sitzt doch den ganzen Tag in deinem Haus rum. Da kannst Du mir doch genauso gut Deine Memoiren aufschreiben.` Erst habe ich überlegt, ob ich ihn einfach rausschmeißen soll. Aber dann fand ich es auch eine gute Idee.“

Die nächsten Monate verbrachte sie also damit, unterstützt von der Journalistin Mona Levin ihre Autobiografie niederzuschreiben. „Ich habe das vor allem für meine Kinder gemacht. Wenn ich auf Tour oder im Ausland war, dann war ich einfach weg. Was ich da genau getan habe, kriegten meine Kinder gar nicht richtig mit. Jetzt können sie es nachlesen.“

Das Buch „Die Wencke“ ist soeben bei Schwarzkopf und Schwarzkopf erschienen. Teilweise ist es, wie die meisten Autobiografien bekannter Menschen, von Erinnerung zu Erinnerung hingeplaudert. Lesenswert ist es dennoch. Zum einen deshalb, weil Mona Levin eine wirklich gute Autorin ist. Zum zweiten deshalb, weil Wencke Myhre uneitel genug ist, auch von ihren Niederlagen und Fehlentscheidungen offen zu berichten. Und manches hat die Sängerin einfach getan, ohne große Worte darüber zu verlieren. Mit Spenden ihrer Fans ein Kinderkrankenhaus in Gaza eröffnet zum Beispiel, das bis heute besteht.

Was kann das Publikum also erwarten, wenn Wencke Myhre heute ihr Buch im Wintergarten vorstellt? Eine Lesung mit Musik?

„Oh“, schüttelt sie sich kurz. „Lesung. Da bekomme ich ja Angst. Sagen wir: Eine musikalische Lesung. Meine Band muss ja auch was zu tun haben.“

Dann legt sie auf. Bald beginnt das Konzert in der Nähe von Oslo. Und ihre Stimme braucht noch ein wenig Ruhe.

11. November, 20 Uhr, Wintergarten, Potsdamer Straße 96, Musikalische Lesung mit Wencke Myhre. Das Buch „Die Wencke“ ist bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen und kostet 19,95 Euro.

Knud Kohr

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