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Berlin: Wenn das Telefon zur Waffe wird

Sogar CDU-Mann Geißler ist jetzt Attac-Mitglied. Anlass genug für einen Besuch im Berliner Büro

Das Telefon klingelt. Schon wieder. Sebastian von Eichborn nimmt ab, eine Anruferin will wissen, wie sie nach Heiligendamm fahren kann, um gegen den G-8-Gipfel zu protestieren. Im Berliner Büro des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac – unzählige Bücher, viel Papierkram und ein Computer – gibt es viel zu tun. Sebastian von Eichborn, Mitte 30 und studierter Volkswirt, ist in Berlin die einzige bezahlte Bürokraft des international tätigen Vereins. Im Dachgeschoss des linken Kulturzentrums Mehringhof in der Kreuzberger Gneisenaustraße teilt sich Attac mit einer anderen Organisation einen kleinen Raum.

„Ich gebe dir einfach zwei, drei Nummern“, sagt Sebastian zum nächsten Anrufer. Ein Radiosender möchte ein Interview mit einem Attac-Experten zum Thema G-8-Gipfel. Hat es vor einem Jahr oft nur einen Anruf von der Presse in der Woche gegeben, gebe es nun täglich bis zu zehn Anfragen von Sendern, Zeitungen und Magazinen. Wichtiger ist den Globalisierungskritikern aber die Resonanz unter politisch Interessierten.

Seit der bundesweiten Großrazzia gegen G-8-Gegner vor zwei Wochen melden sich jeden Tag mehr Menschen: „Die meisten fragen nach Bussen nach Heiligendamm“, sagt Sebastian. Doch auch die Zahl derer, die Attac beitreten wollen, wachse. Beim G-8-Protest ist derzeit das Telefon die wichtigste Waffe.

Eine junge Frau im Sommerkleid und mit modischer Sonnenbrille klopft an die Tür. Sie möchte wissen, wann sich die Berliner Attac-Mitglieder treffen. „Jeden dritten Dienstag im Monat ist Plenum“, sagt Sebastian und zieht aus den unzähligen Papierstapeln ein paar Flugblätter heraus. Kürzlich habe sogar eine Frau aus München im Kreuzberger Attac-Büro angerufen, der Attac-Beitritt des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler vor laufenden Fernsehkameras vorige Woche habe dazu beigetragen.

Attac wurde 1998 in Frankreich gegründet, die deutsche Sektion hat heute 17 000 Mitglieder, davon etwa 1600 in Berlin. Ursprünglich stand die Forderung nach einer demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte im Zentrum der Arbeit. Die Globalisierungskritiker standen zum ersten Mal vor sechs Jahren nach dem G-8-Gipfel im italienischen Genua im Rampenlicht. Damals ist nach tagelangen Ausschreitungen ein junger Italiener von der Polizei mit einem Kopfschuss getötet worden. „Zu diesem Zeitpunkt hatten wir in Deutschland gerade 300 Mitglieder“, sagt Sebastian. Danach sprach plötzlich jeder von Attac; die Organisation wurde zum Inbegriff der Globalisierungskritik.

Heute werden Attac-Mitglieder zu völlig unterschiedlichen Themen als Referenten eingeladen. In Schulen, Parteizentralen und bei Stiftungen erklären Menschen wie Sebastian dann den Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum, die Ursachen für Kriege und die Folgen von Umweltverschmutzung. Nach dem bundesweiten Polizeieinsatz gegen vermeintlich militante Gegner des Weltwirtschaftsgipfels interessiere sich auch die „liberale Mitte der Gesellschaft“ wieder für Attac. Eigentlich arbeitet Sebastian nur 20 Stunden in der Woche für Attac, an drei Tagen hat das Büro im Mehringhof normalerweise auf. „So kurz vor dem G-8-Gipfel machen wir aber die ganze Woche auf“, sagt er, während schon wieder das Telefon klingelt. Geduldig erklärt Sebastian, wo es noch Fahrkarten für die Busse nach Heiligendamm gibt. Die meisten Attac-Mitglieder fahren bei den Gewerkschaften, der Linkspartei oder den Grünen mit. „Wo haben wir eigentlich die gelben Flyer?“, fragt er suchend. Ihm gegenüber sitzt Jule, 20 Jahre alt und Praktikantin bei einer befreundeten Organisation. Sie möchte Managerin für Ökosysteme werden.

Dass Attac nun wieder im Mittelpunkt steht, sieht Sebastian eher gelassen: „Das war abzusehen.“ Nach dem Gipfel in Heiligendamm werde die Nachfrage wieder etwas nachlassen. Dann klingelt das Telefon.

Mehr im Internet unter

www.attacberlin.de

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