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Berlin: Wenn der Bär mit dem Tor tanzt

Die preisgekrönte Illustratorin Martina Wember hat für den neu gestalteten Tagesspiegel die Logos entworfen. Ein Werkstattbesuch

„Ordnung halten“ steht über dem schmalen Werkzeugregal, in dem Martina Wember in ihrem Atelier in Tiergarten die Zeichenutensilien aufbewahrt. Die beiden Worte könnten auch als Motto über den Zeichnungen der 43-jährigen Illustratorin stehen. Denn ordentlich sind Martina Wembers Zeichnungen in der Tat, zumindest auf den ersten Blick: Auf äußere Formen reduziert, auf wenige Striche beschränkt, keine Linie zuviel. Außerdem ist Ordnung – ebenso wie deren Pendant, das Chaos – eines der Themen, das sich seit Jahren durch Wembers künstlerische Arbeiten zieht.

In „Beziehungsreicher Alltag“ zum Beispiel, ihrer als Buch veröffentlichten Abschlussarbeit der Kunsthochschule Weißensee, beschäftigt sich die Künstlerin spielerisch mit der Ordnung der alltäglichen Dinge, die sie in ihrer Wohnung umgeben. Oder besser: Sie bringt deren Ordnung kräftig durcheinander. Küchengegenstände erwachen zum Leben, Schneebesen tanzen Ballett, Teesiebe werden zu Jägern und Teebeutel zu Gejagten, Wäscheständer und Klappstühle wirbeln über die Seiten. Ehe man sich versieht, hat Wember mit ihren einfach wirkenden schwarz-weißen Strichzeichnungen den Blick des Betrachters auf die Alltagsgegenstände verzaubert. „128 Zeichnungen ergeben ein Gedicht“, schwärmte ein Rezensent, als das schlichte, graue Buch vor drei Jahren erschien. Und der Art Directors Club New York bedachte das kleine Meisterwerk mit einer Silbermedaille.

Mit ihrem einfachen Strich, der die Welt auf das Wesentliche reduziert und gleichzeitig zu vielen Assoziationen anregt, hat sich Martina Wember unter Deutschlands Illustratoren eine Sonderstellung erarbeitet. Deswegen hat der Tagesspiegel sie gebeten, die hintergründigen Logos zu entwerfen, die nach dem Relaunch ab diesem Donnerstag unsere Rubriken und Kolumnen ankündigen werden. Wembers Symbolbildern ist anzusehen, wie gerne die Illustratorin um die Ecke denkt.

Für die Kolumne „Von Tag zu Tag“ auf den Berlin-Seiten zum Beispiel hat Wember eine Symbiose aus Berliner Bär und Brandenburger Tor entworfen. Unser regelmäßiger Blick auf die türkischen Zeitungen Berlins (Gazeteler Rückblick) wird durch einen Halbmond symbolisiert, der gleichzeitig die Rückseite einer Zeitung ist. Und die wöchentlichen Erlebnisse unserer Neuberliner Kolumnisten werden künftig durch einen stilisierten Koffer angekündigt, in dem ein Stuhl steht.

„Durch die Reduktion lassen meine Zeichnungen großen Spielraum für Assoziationen“, sagt Martina Wember. „Der Betrachter wird nicht festgelegt, sondern hat die Möglichkeit, selbst zu interpretieren, ohne dass es beliebig wird.“ Dieses Credo hat sie auch in der Bildgeschichte „Beziehungsweise Linien“ umgesetzt, mit deren Veröffentlichung sie vor fünf Jahren zum ersten Mal auf sich aufmerksam machte.

Die auf gelben Din-A5-Karteikarten gezeichnete Geschichte beschreibt die kuriosen Verwicklungen einer Gruppe von Strichmännchen, die mit den Linien der Karteikarten spielen, bis sich die grafische Struktur der Karte nach und nach auflöst. Auch hier ist das Verhältnis von Ordnung und Chaos eines der Motive. Wembers Strichmännchen tanzen, spielen Pantomime, verstricken einander in Linien, bis am Schluss dann doch die strenge, gerade Linie über die unkontrollierten Figuren siegt. Die Stiftung Buchkunst prämierte Wembers Erstlingswerk als eines der schönsten Bücher des Jahres 1999.

Zu ihrem persönlichen Stil fand die Illustratorin auf Umwegen. Nachdem sie vor 20 Jahren aus Erlangen nach Berlin kam, studierte sie anfangs Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, arbeitete ein paar Jahre in einer Werbeagentur, war aber damit nur mäßig zufrieden. Die Wende brachte das Kommunikationsdesign-Studium in Weißensee. Hier entdeckte Martina Wember ihre Lust an der Linie, am vereinfachten, ironisch-vieldeutigen Strich, der heute ihr Markenzeichen ist. „Endlich hatte ich etwas gefunden, das ich mit Lust mache“, sagt die Künstlerin.

Neben dem Tagesspiegel haben auch andere Kunden Wembers Strich für sich entdeckt. So illustrierte sie wiederholt Beiträge in der „tageszeitung“, im McKinsey-Magazin „McK Wissen“ sowie in Zeitschriften der Stiftung Warentest. Für ein Porträt-Buch über Gerhard Schröder („Was kommt, was bleibt“) setzte sie Zitate des Bundeskanzlers in anspielungsreiche Symbolbilder um. Für die Bewerbung Augsburgs als europäische Kulturhauptstadt 2010 hat Martina Wember eine Bilderserie entworfen, in der der Unternehmer Jacob Fugger und Bertolt Brecht als Symbolfiguren für den Widerstreit zwischen Kapitalismus und Kommunismus stehen. Auch dabei geht es ja wieder, wenn man so will, um die Frage der richtigen Ordnung.

Der zu Anfang zitierte Ordnungsappell über Martina Wembers Werkzeugfächern stammt übrigens gar nicht von der Künstlerin selbst: Den hat sie samt Regal von ihrem Opa, einem ehemaligen Drucker, geerbt.

„Beziehungsweise Linien“, 110 Seiten, 24 Euro, ISBN 3-00-004015-3. „Beziehungsreicher Alltag“, 128 Seiten, 14 Euro, ISBN 3-85415-297-3. Weitere Informationen unter www.wemberzeichnung.de oder telefonisch unter (0173) 2388223.

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