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Berlin: Wenn Frauen Männer heben

Im Kraftraum bereiten sich Tänzerinnen und Tänzer des Team Berlin 1 auf eine ungewöhnliche Sportart vor: Synchron-Eiskunstlaufen

Der Rhythmus ist perfekt, die Koordination genial. Die Zuschauer sind jedes Mal begeistert. Es ist ein beeindruckendes Bild, wenn die 15 Läuferinnen und fünf Läufer des „Team Berlin 1“ ihre Figuren auf das Eis zaubern.

Das Ganze nennt sich Synchron-Eiskunstlaufen, und um es sich vorstellen zu können, kann man es am ehesten mit Formationstanzen vergleichen. Die Schritttechniken sind ähnlich, nur eben nicht mit Tanzschuhen auf einem glatten, gebohnerten Parkett, sondern mit Schlittschuhen auf dem Eis, wo sonst nur Einzelläufer oder Paare zu finden sind. Beim Synchron-Eiskunstlaufen dagegen sind 20 Tänzer gleichzeitig auf der Eisfläche. Da bedarf es viel Geschick, um im hohen Tempo nicht übereinander zu stolpern.

Das Berliner Team läuft derzeit mit 15 Läuferinnen und fünf Läufern auf, und es gehört zu den besten des Welt. Bei der Weltmeisterschaft in Zagreb erreichten die Berliner den fünften Platz. Für das Team war es der bisher größte Erfolg seit der Gründung vor zehn Jahren.

Wie viele Frauen zur Formation gehören dürfen oder wie viele Männer, ist egal. Die Verteilung auf die Geschlechter ist nicht reglementiert. Der Männeranteil beim zehnfachen Deutschen Meister ist jedoch vergleichsweise hoch; andere Mannschaften finden nicht so viele eistanzende Herren.

Bei den einzelnen Formationen wird wegen des Gesamteindrucks von groß nach klein sortiert gelaufen. Und seit dem vergangenen Jahr werden von den meist in vier Reihen laufenden Sportlern auch Hebefiguren gezeigt. „Das hat die Sportart athletisch aufgewertet“, sagt Trainerin Yvonne Schulz, die vor elf Jahren deutsche Vizemeisterin im Eistanz wurde.

Die Teammitglieder sind alle gute Eiskunstläufer oder -tänzer. Neben der tänzerischen oder der Ballett-Ausbildung gehen die Frauen jetzt auch in den Kraftraum, „weil sie auch die Männer oder sich gegenseitig heben müssen“, sagt Trainerin Schulz.

Eine Ausnahme gibt es: Männer heben keine Männer, weil das für die Zuschauer ästhetisch nicht sehr attraktiv sei, sagt Schulz. Für die Bewertung durch die Kampfrichter sind vor allem die fest geforderten technischen Elemente wie Linien, Kreise oder Durchkreuzungsmanöver entscheidend. Einfach ist das alles nicht, schon gar nicht in einer großen Gruppe. Deshalb müssen die Berliner an fünf Tagen in der Woche trainieren – und nicht nur auf dem Eis.

Tanz und Athletik stehen auch auf trockenem Boden auf dem Trainingsplan. Bei den komplizierten Figuren kommt es neben der Synchronizität vor allem auf Schnelligkeit und den Ausdruck an. Show ist alles, das mögen die Zuschauer. Bei der WM in Zagreb, als die Berliner Fünfter wurden, saßen 5000 Zuschauer auf der Tribüne, und das für ein Kurzprogramm und eine Kür der Tänzer. Im Jahr davor in Kanada waren es sogar doppelt so viele Zuschauer. Die Weltmeisterschaft der Synchron-Eiskunstläufer wurde getrennt von der Eiskunstlauf-WM in Dortmund veranstaltet, die eine Woche zuvor stattgefunden hatte. Denn selbst in ihrem Fachbereich kämpfen die Synchron-Eiskunstläufer um Anerkennung. In Dortmund durfte das Team „Berlin 1“ zwar bei der Eröffnungsfeier laufen, allerdings nicht zur eigenen Musik. „Das war kurz vor unserer WM doppelte Arbeit“, sagt Trainerin Yvonne Schulz. „Aber wir wollen die Sportart bekannter machen. Und wir brauchen Sponsoren, wir sind halt in der Position eines Bittstellers.“

Synchron-Eiskunstlaufen ist die jüngste vom internationalen Eissportverband Isu anerkannte Disziplin. Erst seit 1992 gibt es ein verbindliches Regelwerk. Schon vor fünfzig Jahren tanzte in den USA die erste Gruppe über das Eis, die Sportart etablierte sich jedoch zunächst nur im nordamerikansichen Raum. 1983 fanden in Kanada die ersten nationalen Meisterschaften statt, die erste offizielle WM wurde im Jahr 2000 in Minneapolis veranstaltet. Das „Team Berlin 1“ wurde damals Sechster.

Die Mitglieder der Mannschaft finanzieren ihren Sport selbst, vom Kostüm bis zu den Wettkampfreisen. Obwohl es Hoffnungen gibt, dass die Sportart irgendwann olympisch wird, und das Team offiziell als A-Kader gilt, haben die unter anderem am Bundesstützpunkt im Sportforum Hohenschönhausen trainierenden Synchronläufer keinen Anspruch auf Sportförderung. Deshalb entscheiden sie jedes Jahr aufs Neue, ob sie eine weitere Saison dabei sind.

„Das ist dann immer eine sehr spannende Sitzung“, sagt Schulz. „Insgesamt aber interessieren sich aber immer mehr Läufer für das Synchron-Laufen.“ Die Berliner haben sogar ein Nachwuchsteam, mit 12- bis 18-jährigen Läufern, die „Silver Shadows“. Vielleicht dürfen die ja später einmal zu Olympia.

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