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Berlin: Wenn man sich in der eigenen Haut nicht wohl fühlt

Im Frühjahr beginnt die Leidenszeit für Allergiker: Über die verschiedenen Arten des Juckens und was man dagegen tun kann

Zuerst ist es nur so ein Gefühl. Es kribbelt und unbewusst streicht man sich kurz über die Stirn, den Arm oder reibt sich die Augen. Dann plötzlich spürt der Allergiker es deutlich: Es juckt. Nicht nur ein bisschen, sondern richtig. Und was besonders schrecklich ist, es hört nicht mehr auf. Also fängt er an, sich zu kratzen. Eigentlich will er es nicht, und er versucht, den Juckreiz zu ignorieren. Irgendwann kratzt er sich dann doch – und kratzt und kratzt. Das Schlimme daran: Der Juckreiz wird nicht wirklich gelindert. Im Gegenteil, es juckt immer mehr und die Haut ist nachher stark gereizt, manche kratzen sich regelrecht blutig – an den Armen, in den Kniekehlen oder im Gesicht.

Nicht jeder Juckreiz ist gleich – jede Allergie hat eine eigene Art und Qualität des Juckreizes: Da gibt es zum Beispiel die Neurodermitis. Auslöser für die Krankheit sind häufig Tierhaare, Nahrungsmittel oder Pollen. „Bei Neurodermitis ist das Jucken besonders quälend“, sagt Professor Torsten Zuberbier, Leiter der Europäischen Stiftung für Allergieforschung an der Hautklinik der Charité Berlin. „Es ist am ehesten mit einem Insektenstich vergleichbar.“

Bei der Urtikaria hingegen ist der Juckreiz eher wie bei einer Brennnessel. Der Name „Urtikaria“ leitet sich auch von der lateinischen Beschreibung für Brennnessel ab. Im Allgemeinen ist die Erkrankung als Nesselsucht bekannt. Bei den Betroffenen bilden sich innerhalb kurzer Zeit Quaddeln, die für den unangenehmen Juckreiz sorgen, teilweise entstehen am ganzen Körper schmerzhafte Schwellungen. Auslöser sind in erster Linie Infekte der Atemwege oder Unverträglichkeitsreaktionen auf Medikamente. Meist gehen die Quaddeln schnell wieder weg. Trotzdem gibt es auch die chronische Urtikaria, deren Ursache zum Beispiel das Nichtvertragen von Nahrungsmittelzusatzstoffen sein kann.

Auch wenn manche Allergiker das gesamte Jahr mit der Neurodermitis oder der Urtikaria zu kämpfen haben, besonders stark tritt sie bei vielen im Frühjahr auf: Denn dann beginnt zusätzlich die Heuschnupfenzeit. Sobald die Temperaturen steigen, fliegen die Pollen von Frühblühern – wie Erle und Haselnuss – durch Berlin. Und sind die Pollen einmal in der Luft, kann man ihnen nur schwer entkommen. Die Folge: Die Haut und die Schleimhäute werden zusätzlich gereizt.

Durch den quälenden Juckreiz hat der Allergiker noch weitere Nebenwirkungen. „Wer an Neurodermitis leidet, kratzt sich häufig auch nachts“, sagt Allergie-Experte Zuberbier. „Studien zeigen, dass dies zu einem Drittel der Schlafenszeit passiert – natürlich unbewusst. Einige Patienten wachen öfter auf und haben Einschlafschwierigkeiten.“ Am nächsten Morgen sind die Betroffenen dann übermüdet, das wiederum kann zu einer Leistungsminderung und Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.

Jeder Allergiker kennt das: Wenn der Juckreiz quält, fällt es einem schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren oder den Freunden zuzuhören. Die Haut ist gespannt, brennt, man fühlt sich unwohl. Da helfen auch die gut gemeinten Kommentare von Freunden und Kollegen nichts: „Ach, so schlimm sieht das doch gar nicht aus“ – oder: „Dann versuch’ doch an etwas Schönes zu denken.“

Aber was hilft denn nun gegen den Juckreiz? Grundsätzlich muss zuerst die genaue Ursache diagnostiziert werden, denn bei Allergien gibt es keine allgemein verbindliche Behandlungsform. Jeder Allergiker hat seinen individuellen Krankheitsverlauf. Erst, wenn das geklärt ist, kann eine Medikamentierung vorgenommen werden. Gegen die juckenden Ekzeme gibt es zum Beispiel Cremes. Dabei kann für einen beschränkten Zeitraum auch ein Kortisonpräparat sinnvoll sein. Auf Kortison reagieren viele Patienten zwar ablehnend. Ist es doch als ein Präparat bekannt, das Nebenwirkungen – wie Hautverdünnung – zur Folge hat. Doch das war einmal, sagen Allergologen. Bei sachgerechter Anwendung sei die Angst unbegründet, vor allem auch, weil die heutigen Medikamente nicht mehr so stark dosiert sind. „Wenn wir den Patienten erklären, dass Kortison das Immunsystem bei Allergien normalisiert, können wir ihnen die Furcht vor dem Medikament nehmen“, sagt Gerhard Schultze-Werninghaus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI).

Es gibt auch kortisonfreie Cremes, die juckreizstillend wirken. Antihistaminika helfen ebenfalls, das Immunsystem von innen zu stärken. Früher machten die Präparate die Patienten müde, neuere Antihistaminika sind schonender. Auch Torsten Zuberbier befürwortet bei den meisten Patienten eine derartige Behandlung. Kritisch hingegen sieht er die Neurodermitis-Diäten, bei denen Betroffene ohne vorherige Diagnostik eine Vielzahl von Nahrungsmitteln meiden.

Wichtig sei es, sich von einem Facharzt behandeln zu lassen. Denn: „Nur zehn Prozent der allergiekranken Menschen in Deutschland werden adäquat versorgt“, sagen die Autoren des „Weißbuch – Allergie in Deutschland“, zu denen auch Zuberbier und Schultze-Werninghaus zählen. Das Weißbuch wird von Allergologen verschiedener Disziplinen herausgebracht und soll über die Krankheiten aufklären sowie Anregungen geben, wie man die Betroffenen besser behandeln kann.

Die Nesselsucht (Urtikaria) ist übrigens heilbar, die Neurodermitis nicht. „Auch wenn man sie nicht heilen kann, ist sie aber doch gut zu behandeln“, sagt Zuberbier von der Charité. Die Hautkrankheit ist genetisch bedingt: Wenn Eltern Neurodermitis haben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass deren Kinder ebenfalls betroffen sind. Wichtig ist, dass rechtzeitig mit der Behandlung begonnen wird, denn meist fängt die Allergiker-Karriere im Säuglingsalter an. Gerade Kinder sind von der Neurodermitis betroffen.

Allergiker zu sein, ist heute nichts Exotisches mehr. Mehr als 30 Prozent aller Europäer sollen unter Allergien leiden, im Jahr 2010 wird es Schätzungen zufolge jeder Zweite sein. Trotzdem werden Allergien nach Ansicht von Torsten Zuberbier bagatellisiert. „Darunter leidet man nicht“ oder „das hat man hinzunehmen“, seien die gängigen Klischees. Der Schweregrad einer Allergie kann zusätzlich von der Umwelt und dem Berufsumfeld beeinflusst werden – ein weiterer Faktor ist der Stress. Dagegen können Entspannungsübungen – wie Autogenes Training – durchaus hilfreich sein, auch althergebrachte Hausmittel wie kalte Kompressen lindern den Juckreiz.

Um Kinder vom Juckreiz abzulenken, gibt es übrigens eine eigene Methode: den Kratzbär. Anstatt sich selbst zu kratzen, wird das Kratzen auf ein Stofftier übertragen. Vielleicht hilft das ja auch erwachsenen Allergikern.

Weiteres im Internet:

www.ecarf.org , www.allergie-centrum-charite.de

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