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Berlin: Wenn Mieter Krach mit ihren Nachbarn haben, heißt das Mittel der Wahl: Mediation

Anlässe, sich zu beharken, gibt es immer wieder: Da ist der Posaunist unterm Dach, der ausgerechnet immer dann üben will, wenn ein Stockwerk tiefer der heimkommende Frühschichtler nach Entspannung lechzt. Zur Strafe dreht der dann die Hifi-Anlage auf, woraufhin der Posaunist empört an dessen Wohnungstür hämmert.

Anlässe, sich zu beharken, gibt es immer wieder: Da ist der Posaunist unterm Dach, der ausgerechnet immer dann üben will, wenn ein Stockwerk tiefer der heimkommende Frühschichtler nach Entspannung lechzt. Zur Strafe dreht der dann die Hifi-Anlage auf, woraufhin der Posaunist empört an dessen Wohnungstür hämmert. Das wiederum ruft die alte Dame aus dem Erdgeschoss auf den Plan, die den Frühschichtler ganz nett findet. Dem Hausmeister, der im Guten versuchen will, zu vermitteln, wird unisono der Mund verboten. Rasch ist im gesamten Mietshaus die Atmosphäre vergiftet, man geht unter Drohungen auseinander und sinnt auf Rache.

Solche Knoten in der Kommunikation können vor Gericht natürlich zerschlagen werden. Dabei geht es dann um Sieg oder Niederlage - einer gewinnt, einer verliert. Wieder miteinander zu reden dürfte gleichwohl beiden schwerfallen. Oder man bemüht sich, den Knoten zu entwirren. Dabei kann ein Dritter helfen. Dieses Verfahren heißt "Mediation": Wenn zwei sich streiten, hilft ein unbeteiligter Dritter, der Mediator, diesen Streit beizulegen. Er will erreichen, dass beide Parteien mehr als nur einen Kompromiss erzielen: Alle sollen gewinnen.

Die Berliner "Arbeitsgruppe Mediation am Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktforschung", so der vollständige Name, hat sich genau dies zur Aufgabe gemacht. "Wir wollen helfen, dass die Konfliktparteien wieder miteinander reden können", so einer der Mediatoren, Claus-Dieter Wild. Dazu bedarf es jedoch zunächst einer großen Anstrengung: "Die Streitenden müssen bereit sein, sich mit ihren Nachbarn, den Konfliktpartnern, an einen Tisch zu setzen" - und zwar freiwillig. "Im Mediationsverfahren geht es nicht darum, nur die Interessen einer Partei durchzusetzen, sondern beide sind dafür verantwortlich, zu einer gemeinsamen Lösung zu finden." Was schwierig ist, wenn man seinen Nachbarn als Feind betrachtet, denn man lebt ja - trotz gegenteiliger Beteuerung - damit vielleicht recht gut. "Für viele Menschen ist es die einzige Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen, wenn sie einen Gegner haben." Dann allerdings ist Mediation fast aussichtslos. Wer einen Partner sucht, um seinen Nachbarn zu diskriminieren, wird bei der Arbeitsgruppe Mediation nicht fündig.

Ernüchternde Bilanz

Seit nunmehr einem Jahr versuchen Claus-Dieter Wild und seine Kollegen, Konflikte zwischen Mietern zu schlichten. Die Bilanz ist allerdings ernüchternd: Trotz starken Medieninteresses an dieser Arbeit habe es nur wenige Mieter gegeben, die sich darauf einlassen. Was man aber letztlich kaum jemandem vorwerfen kann, denn die Hemmschwelle "ist für viele enorm hoch". Auch gebe es eine grundlegende Schwierigkeit: die zweite Konfliktpartei an den Tisch zu bekommen. Da das Verfahren freiwillig ist, kann es nur dann funktionieren, wenn wirklich alle Beteiligten bereit sind, an ihrem Problem zu arbeiten. Ein solches Gespräch aber ist "für viele Menschen stark mit Angst besetzt". Den Gegner am selben Tisch zu haben, kann blockieren. "Es herrscht Sprachlosigkeit." Die zu überwinden ist Aufgabe des Mediators.

Mediation ist vor allem einfühlsame Gesprächsführung. Zunächst schildern die streitenden Parteien ihren Konflikt, was meist nicht ohne Emotionen abgeht. Schlagen die Wellen hoch, bedarf es des Eingriffs des Mediators, denn zunächst werden die Positionen formuliert: "Du machst immer Krach, wenn ich schlafen will - du willst angeblich immer gerade dann schlafen, wenn ich dringend üben muss." Sind die Positionen bekannt, stellt sich die Frage: Wo liegen die jeweiligen Interessen? "Ich will musizieren - ich will nach der Arbeit schlafen." Jeder weiß also, was er will - oder erfährt es im Gespräch. Jeder wird vielleicht auch für die Interessen des Gegenübers Verständnis haben - zumindest im Stillen. Und genau in dieser Akzeptanz liegt der Ansatz zur Lösung. Denn die Bedürfnisse werden durchaus zugestanden - nur wenn beide zur gleichen Zeit ihre Interessen durchsetzen wollen, prallen die Kontrahenten aufeinander.

Während der Mediator bis zu diesem Punkt immer wieder vermitteln muss und das Gespräch im Dreieck verläuft, zieht er sich nun, da die Interessen bekannt sind, etwas zurück. Claus-Dieter Wild: "Nur dann, wenn die Parteien jetzt selber die Lösungen für ihre ureigenen Interessen finden, wirken sie langfristig." Vielleicht erfährt der Musiker erstmals, dass der Frühdienst nicht vor 14 Uhr endet, er mithin den Vormittag für seine Übungen hätte. Ist der Mieter nicht zu Hause, wird dessen Interesse nach Ruhe nicht vom Interesse des Posaunisten, zu üben, berührt. Die Mediation in diesem Konflikt führt also zum Gespräch der Streitenden, die gemeinsam eine Lösung finden: Keiner muss verzichten, beide wahren ihre Interessen, beide haben gewonnen.

Vereinbart wird zuvor, wie mit dem Inhalt der Gespräche umzugehen ist, dass beispielsweise weder andere Mieter oder gar der Vermieter davon erfährt. Die Ex-Kontrahenten schließen bei Erfolg einen Vertrag über das Ergebnis. "Da es kein juristisches Verfahren ist, sind solche Verträge allerdings nicht rechtsverbindlich", erklärt Claus-Dieter Wild. "Es geht um den Verhaltenskodex." Wie der sich im Alltag dann entwickelt, das haben die beiden Kontrahenten in der Hand.Die Arbeitsgruppe Mediation kooperiert mit dem Berliner Mieterverein. In dessen Räumen findet an jedem letzten Donnerstag im Monat eine Sprechstunde statt: 17 bis 19 Uhr, Wilhelmstraße 74, 10117 Berlin, t 84 10 95 35. Eine Mediationseinheit, die zwei bis drei Sitzungen umfassen kann, kostet für jede Partei 20 Mark.

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