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Berlin: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Michael Reichel ist Kriminalhauptkommissar bei der Berliner Polizei – und hat eine dunkle Hautfarbe. Daran müssen sich immer noch viele erst gewöhnen

Als Kriminalhauptkommissar Michael Reichel vor einiger Zeit in einem Wohnhaus ermittelte und die Nachbarn befragte, haben sie ihm noch Rede und Antwort gestanden. Doch als er fertig war und aus dem Haus ging, wartete schon ein Streifenwagen vor der Tür: Die Nachbarn hatten die Polizei gerufen, weil sie nicht glauben konnten, dass der dunkelhäutige Mann tatsächlich „ein echter Polizist“ war.

Schwarze sind Musiker, Sportler, Schauspieler – oder Drogendealer. Schwarze sind nicht Manager, Ärzte oder Kriminalhauptkommissare. Jedenfalls scheint das so in den Köpfen vieler Deutscher tief verankert zu sein. Der Mann, der das behauptet, muss es wissen: Michael Reichel, 40, ist ein Schwarzer. Ein schwarzer Deutscher, wie er sich selbst bezeichnet. Und er ist Kommissariatsleiter bei der örtlichen Kripo der Direktion 3, zuständig für den Bezirk Mitte.

Wenn Michael Reichel – seine Freunde und Kollegen nennen ihn Mike – die Anekdote erzählt, muss er grinsen. Geschockt habe ihn das nicht, sagt der Hauptkommissar. Schließlich müsse er, seit er auf der Welt ist, mit verstecktem oder auch offensichtlichem Rassismus leben. Auch, wenn er bislang noch nie Opfer von körperlicher Gewalt geworden ist.

Aufgewachsen ist Reichel, Sohn eines amerikanischen GI und einer Deutschen, in Charlottenburg. Seinen Vater hat er nie kennen gelernt, die Mutter zog ihn allein groß. Dass er „anders“ war, habe er zwar nicht ständig, aber doch genügend zu spüren bekommen: „Auf einem Spielplatz haben mich mal Jungen verprügelt. Die Mutter von einem schaute sogar zu und hat noch so etwas wie ,Is’ doch bloß ein Schwarzer‘ gesagt“, erinnert sich Reichel. Später, als Jugendlicher, habe die Mutter seiner damaligen Freundin Bedenken gehabt. Nach dem Motto: Ein Schwarzer als Freund für die Tochter? Ob das gutgehen kann?

Bis heute ist Reichel Mitglied in der Gruppe „Initiative Schwarze Deutsche“ (ISD). Dort tauschte er Erfahrungen mit anderen Schwarzen aus, über die Andersartigkeit, über die Diskriminierung im scheinbar Harmlosen wie dem Kinderlied „Zehn kleine Negerlein“, über den Begriff „Neger“ als Schimpfwort.

Nach dem Abitur Anfang der Achtziger Jahre bewarb sich Reichel bei der Polizei: für den gehobenen Dienst, mit drei jährigem Studium an der Fachhochschule. „Ich wollte studieren und meiner Mutter nicht länger auf der Tasche liegen.“ Kriminalpolizist sei ihm einfach als spannender Beruf erschienen, sagt Reichel. Und er sei bis heute nicht enttäuscht – trotz der vielen Schreibtischarbeit, die man bekanntlich in Fernsehkrimis nicht zu sehen bekommt. „Außerdem habe ich es schon als Herausforderung gesehen, als schwarzer Polizist zu arbeiten.“

Bis heute sind Polizeibeamte nichtdeutscher Herkunft oder mit einem anderen ethnischen Ursprung bei der Polizei stark unterrepräsentiert. Genaue Zahlen, wie viele Beamte aus türkischen oder jugoslawischen Familien stammen oder Vorfahren in Afrika, Asien oder Südamerika haben, gibt es nicht, denn nur Deutsche können Beamter werden. Für jeden gelten die gleichen Aufnahmebedingungen für die Polizeischule und später zur Übernahme in den Beruf. Aber wann sieht man schon mal einen schwarzen Polizisten? Oder einen asiatisch aussehenden? Wohl eher selten. Reichel schätzt die Zahl schwarzer Polizisten in Berlin auf zehn bis zwölf. Die meisten kennen sich untereinander zumindest flüchtig.

Einige Kollegen hätten erst einmal verdutzt geschaut, als sie ihren neuen Kollegen persönlich kennen gelernt haben, sagt Reichel. Denn aufgrund des Namens Michael Reichel habe ja niemand eine andere Hautfarbe vermuten können. „Aber ich habe es mir zu Beginn meiner Laufbahn schlimmer vorgestellt bei der Polizei, was rassistische Anspielungen angeht“, sagt Reichel. Er sei positiv überrascht worden. „Meine Vorgesetzten haben mir immer gleich gesagt, dass ich mich sofort an sie wenden soll, wenn sich jemand rassistisch äußert.“

Das sei allerdings nicht so leicht, sagt Reichel. Rassismus widerfährt einem oft subtil und ist wenig greifbar. Beispielsweise das Vorurteil, dass er nur so schnell vom Kriminaloberkommissar zum -hauptkommissar befördert wurde, weil er den Exoten-Bonus hat. Direkt gesagt hat ihm das keiner, so etwas läuft eher hintenrum. „Dabei habe ich einfach wirklich viel und hart gearbeitet“, sagt Reichel. Im Vertrauen habe ihm ein Kollege einmal berichtet, wie ein anderer wütend so etwas wie „Was hat denn der Bimbo da wieder entschieden?“ gerufen hat. Doch natürlich konnte er denjenigen nicht zur Rede stellen, weil er ja offiziell davon gar nichts wusste. Macht ihn das nicht noch wütender? „Es ist mir nicht egal, aber ich bin mir nun mal bewusst, dass Rassismus ein Teil unserer Tradition, ein Teil unserer Geschichte ist.“ Das hilft zwar nicht in der Sache, es scheint Reichel aber gelassener zu machen.

Die Polizei sei ein Spiegel der Gesellschaft, sagt Reichel. Deshalb seien Beamte nichtdeutscher Herkunft enorm wichtig. Er, als schwarzer Deutscher, repräsentiere einen Teil dieser Gesellschaft. Die Polizei, so hat deren Präsident Dieter Glietsch vor einigen Monaten bei einer Pressekonferenz gesagt, wünsche sich mehr Beamte aus ausländischen Familien. Vor allem in einer Metropole wie Berlin: „Je normaler das auch für den Bürger wird, dass es Polizisten ausländischer Herkunft gibt, desto besser.“

Reichel lebt mit einer schwarzen Deutschen zusammen. Mit ihr hat er einen zweijährigen Sohn. Dass er eine Schwarze als Freundin hat, sei „eine bewusste und persönliche Entscheidung“ gewesen. Es habe aber nicht, wie einige aus dem Bekanntenkreis kritisch anmerkten, damit zu tun, dass er sich bedingungslos abgrenzen möchte. „Ich hatte früher genauso weiße oder schwarze Freundinnen.“ Aber letztlich könne ihn seine schwarze Freundin am besten verstehen. „Man muss nicht alles erklären, sie weiß nun mal, wie es ist, als Schwarzer in Deutschland zu leben.“ Aber schließlich habe er genügend weiße Verwandte, Freunde, Kollegen und Nachbarn.

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