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Berlin: „Wer lange suppt, lebt lange“

Die Spree ist mein Lebensfluss: Anfang und Ende sind klar. Die Mündung in die Spandauer Havel ist eindeutiger als die unter Erbsenzählern strittige Quellenfrage in der Oberlausitz.

Die Spree ist mein Lebensfluss: Anfang und Ende sind klar. Die Mündung in die Spandauer Havel ist eindeutiger als die unter Erbsenzählern strittige Quellenfrage in der Oberlausitz. Ich setze auf den Kottmar, mögen andere sich an Ebersbach halten – alles ist Oberlausitzer Bergland. Meine Spree speist sich aus vielen Gelegenheiten. Das gibt ihr einen Lebenslauf-Vergleich: ziemlich mäandrierend, sich in hübschen Landschaften verbummelnd, ja sogar mit einer Neigung , sich auf man gerade 382 Kilometern zu verzetteln. Doch sie findet nach mancherlei Abwegen immer ins eigene Bett zurück. Allen Seitensprüngen aber hinterlässt sie was Bleibendes. Im Spreewald zum Beispiel die Spreewälder Gurken. Mir sind die Sauren aus der Salzlake die liebsten. Nach ihnen ist eine erholsam nachrichtenarme Jahreszeit benannt. In besten Zeitungszeiten genügte das schottische See-Ungeheuer von Loch Ness und spornte unterhaltsame Phantasien an. Heute treten Windbeutel auf und ab. . .

Da lobe ich mir die Saure Gurke. Für sie habe ich zu jeder Zeit nicht nur Zeit, sondern auch Verwendung. Unter anderem bei der Zubereitung einer Rindsroulade. Wie auch mit einem anderen köstlichen Produkt vom Spreeufer: dem Bautzner Senf. Den Senf streiche ich auf die gekloppte Rindsscheibe, lege einen Streifen fetten Speck darauf, rolle das Fleisch um diesen Streifen, lege nun ein Stück Gurke ein – und so weiter das Rouladenkaliber beliebt. Gefesselt wird das Wickelwerk angebraten, sodann forsch gewürzt gegart. Schon bin ich dort, worauf ich hinaus will: der Roulade bei Fontane.

Hier bedarf es einer kleinen Genealogie der Fontanes. Da ist zunächst Pierre Barthélemy Fontane, der bei der Königin Luise Kabinettssekretär war, aber, was nachhaltiger wiegt, Großvater von Theodor Fontane. Er hatte in dritter Ehe Auguste Wilhelmine Friedérique Charlotte geb. Werner zur Frau. Sie hatte 1795 einen gastronomischen Beitrag geschrieben, den die jüngeren Schwestern Theodors, Jenny und Eliese, im Jahre 1903 im Verlag von Friedrich (Friedel) Fontane, des jüngster Sohns Theodors, als Buch herausgaben: Wie man in Berlin zur Zeit der Königin Luise kochte. Mir fiel das Buch in einem Lokal der Neuen Grünstraße in die Hände, wo es bei allerlei Dekorationsdingen lag. Ich hatte Rouladen bestellt und gleich nachgeschlagen, was Mme. Fontane hierzu notierte. Gleich zwei Rezepte. Das erste nach meiner Art, das zweite aufwändiger. Im Vorwort der Fontane-Schwestern gibt es einen Verweis auf unseren Altmeister Theodor Fontane, seinen autobiographischen Roman Meine Kinderjahre. Sie wurden mir - obschon oft gelesen – ein genussreicher Nachtisch daheim. Die Kochbuch-Großmutter – übrigens eine vorzügliche Dame, die ich später noch sehr verehren lernte – schneidet beim Enkel besser ab als der Großvater. Das Zärtlichste, was ich je von einem Sohn über seinen Vater las, ist das von Theodor über Louis Henri Fontane, diesen Lebenskünstler um jeden, auch der Ehe Preis. Einer, der dem Sohn das Künstlertum vererbt hatte, der dieses Erbe verfeinerte.

Es waren die Verhältnisse, die den Menschen machen. Solche Erkenntnis hatte Louis Fontane schon früh. Anfangs, so gestand der Alte dem schon älteren Knaben Theodor, habe er das so hin gesagt: Jetzt aber, wenn ich meinen alten Lieblingssatz ausspiele, tu ich’s mit Überzeugung. So ganz kann es einen freilich nicht beruhigen. Aber doch beinah, doch ein bißchen. Da nahm der Sohn des Vaters Hand und streichelte sie.

Zurück zum Kochbuch. In den Kinderjahren kommt eine ungeliebte Milchsuppe vor . Auch bei der Großmutter. Aber Theodor löffelte aus, was ihm eingebrockt war. Und Vater Louis sprach einen Lebenssatz: Wer lange suppt, lebt lange. Nur nicht kiesätig. Was kiesätig heißt? Was es eben besagt. So will ein Fontane gelesen, Musik gehört werden.

99 ZEILEN SCHWERK

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