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Berlin: Wer nicht lernen will, muss zahlen

Nach der Studie des Bildungssenators wird in den Bezirken diskutiert, wie man Schulschwänzer zur Rückkehr motiviert

Es macht sicher Eindruck bei den Kumpels, wenn man als Schüler nach langer Abwesenheit vom Polizeiauto bis vor die Tür chauffiert wird. Aber dahinter steckt ein Problem.

„Polizeiliche Zuführung“ heißt dieser zwangsweise Transport von Schulschwänzern in der Statistik von Schulsenator Klaus Böger (SPD). Danach fehlten im zweiten Halbjahr 2001 / 02 fast 15 000 der insgesamt gut 300 000 Berliner Schüler an mehr als 20 Unterrichtstagen. Über den Umgang mit Schulschwänzern entscheiden die Bezirke. Nach Bögers Zahlenwerk, das bis ins Schuljahr 1997 / 98 reicht, scheinen die Unterschiede gewaltig: So wurden im Altbezirk Lichtenberg binnen drei Jahren 29 hartnäckige Schulschwänzer „polizeilich zugeführt“, in Reinickendorf dagegen kein Einziger. Für Neukölln, den Bezirk mit der dritthöchsten Schulschwänzerquote, weist die Statistik zwar nur zehn Fahrten des grün-weißen Shuttles aus, aber weit über 200 Bußgeldverfahren in jedem Schuljahr – einsame Spitze.

„Das kann ich vertreten“, sagt der Neuköllner Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) über den Rekord. Aber die Rechnungen würden erst verschickt, „wenn alle Pädagogik erschöpft ist“, wenn also Hausbesuche des Lehrers, Gespräche zwischen Schulleitung, Betroffenen und Mitschülern sowie eine letzte schriftliche Mahnung nichts genützt haben. Fünf Euro würden pro Fehltag fällig, bei Wiederholungstätern das Doppelte. 500 „harte Fälle“ gebe es im Bezirk. Theoretisch könnten die Bußgelder per Gericht durchgesetzt werden, praktisch sei das langwierig und wenig sinnvoll. Schimmang wäre es ohnehin lieber, die Schulschwänzer durch Alternativen zum klassischen Unterricht, etwa mit mehr Praxis und weniger Lernstoff, wieder in die Schule zu locken.

Einige freie Träger wie die „Bürgerstiftung Berlin“ bieten bereits Hilfe zur Rückkehr ins Klassenzimmer an, und auch die Senatsverwaltung hat in Zusammenarbeit mit mehreren Schulen „Maßnahmen gegen Schuldistanz“ in Gang gesetzt. So können Schüler mit auffällig langen Fehlzeiten praxisorientierter lernen und müssen weniger pauken. Von den Programmen profitieren einige hundert Schüler. Und um Totalverweigerer kümmern sich verschiedene Jugendhilfeeinrichtungen – sofern sie sie überhaupt erreichen.

„Es ist ganz schwer, jemanden zum Lernen zu zwingen“, sagt Schimmang und bestätigt damit die Erfahrung der Polizei, die sich eher ungern um den Transport von Schulschwänzern kümmert. Wenn eine Schule sich mit der nächsten Wache in Verbindung setzt, „kriegt je nach Kapazität ein Funkwagen den Auftrag“, sagt eine Polizeisprecherin. Mit anderen Worten: Verkehrsunfälle und Einbrüche sind wichtiger als die Fahndung nach notorischen Schulschwänzern.

In Friedrichshain-Kreuzberg bräuchte man wohl eine eigene Hundertschaft, um dem Problem Herr zu werden. Jeder fünfte Schüler im Bezirk fehlte mehr als elf Schultage pro Halbjahr; „80 Prozent davon in Kreuzberg“, sagt Bürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS). Besonders betroffen seien Haupt- und Gesamtschulen. Die amtliche Reaktion: Hausbesuch des Klassenlehrers nach dem siebten Fehltag, Rücksprache mit dem Jugendamt, Gespräch mit Schülern und Eltern, eventuell Betreuung durch Familienhelfer, ansonsten Bußgelder zwischen 200 und 300 Euro. Die Polizei helfe nur wenig, „weil die Schüler nach zwei-drei Stunden wieder weg sind“. Trotz der hohen Fehlzahlen habe sich die Strategie des Bezirkes bewährt; „die werden wir beibehalten“, sagt Reinauer.

In Mitte, das auf dem vorletzten Platz der Statistik gelandet ist, wird ähnlich verfahren. „Motivieren statt sanktionieren“ will Schulamtsleiter Jürgen Willuhn. Er hat auch eine Erklärung dafür, dass der Altbezirk Wedding in Bögers Statistik fehlt: Die Daten konnten wegen Personalknappheit nicht an die Verwaltung übermittelt werden.

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