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Berlin: „Wer Pflichten hat, hat auch Rechte “

Beim Tagesspiegel wurde über Integration und das deutsch-türkische Anwerbeabkommen diskutiert

Ob Döner tatsächlich schöner macht, hat die Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt. Klüger macht er allemal, zumindest gilt das für den gestrigen Sonntagabend. Verlockend begrüßte der Duft des bekannten türkischen Gerichts die rund 100 Besucher, die ins Tagesspiegel-Verlagshaus zur Diskussion anlässlich des 50. Jahrestages des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens gekommen waren.

Über den Jahrestag sowie über aktuelle Debatten, Probleme und Entwicklungen des multikulturellen Zusammenlebens in Deutschland diskutierten die ehemalige Berliner Integrationsbeauftragte und Tagesspiegel-Kolumnistin Barbara John, die Autorin und Tagesspiegel-Kolumnistin Hatice Akyün sowie der Berliner Unternehmer Zekeriya Bayrak. Moderator des Abends war der Leitende Redakteur Gerd Nowakowski.

„Damals sind große Fehler gemacht worden. Einer davon war zu glauben, man hole nur Arbeitskräfte, aber keine Menschen mit einer Kultur, Familie und Religion ins Land“, blickt John auf den Vertragsabschluss am 30. Oktober 1961 zurück. Zwei Themen kommen im Laufe der angeregten Diskussion immer wieder zur Sprache: Dass viele Probleme heutiger Jugendlicher wie Motivations- und Leistungsdefizite, Kriminalität oder Drogenkonsum nichts mit der ethnischen Herkunft, sondern in den meisten Fällen mit einem bildungsfernen Elternhaus zu tun haben. „Hier muss die Politik anfangen und Stützstrukturen schaffen anstatt sinnlose Debatten über Begriffe wie Migrationshintergrund zu führen“, fordert John und erntet viel Zustimmung von ihren Gesprächspartnern sowie aus dem Publikum.

Von persönlichen Anekdoten gestützt sind die Redebeiträge zum Begriff der Integration. „Ich bin dieses Wortes so müde“, sagt Hatice Akyün und schlägt stattdessen den Begriff Partizipation vor, dem auch Zekeriya Bayrak zustimmt: „Wer Pflichten hat, hat auch Rechte. Es ist falsch, dass die Mehrzahl der seit langem in Berlin lebenden rund 180 000 türkischstämmigen Menschen noch nicht einmal an Kommunalwahlen teilnehmen darf.“ Und ein türkischstämmiger Mann aus dem Publikum erzählt: „Ich wollte mich in 40 Jahren nie integrieren. Trotzdem habe ich Deutsch gelernt, stets eine Arbeit gehabt und meine Kinder auf die Uni geschickt“, sagt er und veranschaulicht seine Meinung augenzwinkernd mit einem Beispiel: Mehrmals im Monat sei er in Köln – ob er sich nun auch dort integrieren müsse? Bisher sei er vor dem Kölner Karneval nämlich immer zurück nach Berlin geflohen.

Was ihm, John, Akyün, Bayrak und vielen Zuhörern an diesem Abend wichtig ist: Es darf nicht darum gehen, den Einzelnen in ein fiktives Gesellschaftssystem hineinzuzwingen. Vielmehr müssen die Biografie und die individuellen Möglichkeiten jedes Menschen im Vordergrund stehen und geachtet werden. Für Barbara John bedeutet das nicht zuletzt: „Die heutige Politik muss bei der Not und den Problemen des Einzelnen anfangen, nirgendwo sonst.“

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