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Berlin: Wer was wird, wird Wirt

Viele angesagte Bars und Clubs gehören Akademikern. Längst ist nicht mehr nur Arbeitslosigkeit der Grund, sich als Studierter hinter den Tresen zu stellen

Sie sind die Könige der Nacht: die Besitzer der angesagten Clubs und Kneipen in Berlins Szenevierteln. Vorbei sind die Zeiten, als Nachtclubbetreibern ein zweifelhaftes Image anhaftete – vielleicht auch deshalb, weil immer mehr Akademiker zu den erfolgreichen Restaurantwirten und Partymachern gehören.

Andreas Credo ist einer von ihnen. Als er vor anderthalb Jahren zusammen mit seiner Freundin Stephie Sinn das „Pony“ in Mitte eröffnet hat, war er dreißig und stand hier das erste Mal in seinem Leben hinter einer Bar. Eigentlich sind die beiden Architekten. Nach ihrem Studium haben sie in mehren Büros gearbeitet, aber die Bezahlung war schlecht, die Verträge immer befristet. Als sich Stephie Sinn nach monatelanger Arbeitssuche im Sozialamt wiederfand, war das ihr Tiefpunkt: „Es musste dringend etwas passieren. Ich wollte was auf die Beine stellen, produktiv sein.“ Die Idee zur eigenen Bar kam dann zufällig. Andreas Credo hatte die leer stehende Kneipe an der Alten Schönhauser Straße 44 entdeckt, und auf einmal ging alles sehr schnell: Finanzierungsplan erstellen, von Freunden und Verwandten Geld leihen, die Einrichtung bauen. Am Anfang standen Credo und Sinn von mittags elf bis morgens um fünf hinter der Bar, die ersten vier Monate ohne Angestellte. „Zuerst kamen vor allem Freunde und Bekannte. Und weil die „Pony“-Bar funktionierte, können sich die beiden wieder mehr um ihre Design-Ideen kümmern. Stephie Sinn macht Mode, und Andreas Credo hat gerade eine Sitzmöbelreihe entwickelt. Ob sie sich vorstellen könnten, irgendwann wieder als Angestellte in einem Architekturbüro zu arbeiten? „Wenn man einmal selbstständig war, wird das schwierig“, glaubt Sinn.

Dass sie sich irgendwann selbstständig machen wollte, wusste Esther Wolf schon, als sie 16 war, nur noch nicht genau womit. Nach ihrem BWL-Studium vor elf Jahren hat die 37-jährige Berlinerin als Kellnerin und Barfrau gejobbt, bevor sie Geschäftsführerin in einem Kreuzberger Restaurant wurde. Jetzt gehört ihr seit fast sieben Jahren ein eigenes Lokal, das „Keyser Soze“ in Mitte. 20 Leute arbeiten in ihrer Kneipe an der Tucholskystraße 39, die nach der zentralen Figur aus dem Film „Die üblichen Verdächtigen“ benannt ist.

Esther Wolf ist stolz, für sich das Richtige gefunden zu haben, so wie der junge Mann, der sich Conrad nennt und illegale Partys veranstaltet. Er hat BWL studiert, war Controller bei Gucci und bei einem Internet-Start-Up. Aber auf Dauer war ihm ein Bürojob zu eintönig. Seit vier Jahren organisiert er Partys: Ein leer stehendes Haus oder ein Keller in irgendeinem Hinterhof, ein guter DJ, schnelle Leute hinter der Bar und ein großer Bekanntenkreis – Conrad setzt viel Energie und Organisationstalent ein, damit seine Partys laufen. Er ist jetzt 35, und Gastronom sein, sagt er, „ist natürlich nicht das, was man als typische Karriere versteht“. Es ist ein Leben für die Nacht. Er genießt es, Gastgeber zu sein, zu beobachten, wie Musik und Publikum zusammengehen.“

Thomas Stellmach kennt es auch, dieses Gefühl vom „Ruhm der Nacht“, das manchmal in ihm aufkommt, wenn ein Abend besonders gut läuft. Stellmach ist Mitbesitzer des Kinzo-Clubs an der Karl-Liebknecht-Straße 11 am Alex, einem der zurzeit angesagtesten Läden der Stadt. Und auch er ist Akademiker. Voriges Jahr, mit 27, hat er sein Architekturstudium beendet, und seitdem steckt er einen großen Teil seiner Energie in den Club. Wenn ihn allerdings jemand fragt, was er beruflich macht, verschweigt er seinen Clubbesitzer-Job meistens: „Das klingt sonst nach Angeberei.“ Zu seinem Club ist Stellmach überhaupt eher zufällig gekommen. Zusammen mit den anderen drei Betreibern – zwei Architekten und einem Krankenpfleger – hat er unter dem Namen Kinzo eine Firma gegründet, in der verschiedene Architekturprojekte, Möbel, Internetseiten und Veranstaltungskonzepte entwickelt werden. Dazu gehört auch der Club. Der nimmt mittlerweile die Hälfte seines gesamten Arbeitsaufwandes in Anspruch, und das ist Stellmach eigentlich zu viel. Er sieht sich in erster Linie als Architekt, und dass das Nachtleben und der Club so „weit weg vom Akademischen“ sind, findet er manchmal bedenklich.

Auch wenn das Akademische im Nachtleben wenig zählt – ein Architekturstudium kann man als Bar- oder Clubbesitzer offenbar gut gebrauchen: „Architekten lernen, Ideen und Konzepte zu entwickeln“, sagt Andreas Credo vom „Pony“. Sie können selbst die Einrichtung entwerfen und bauen, die Beleuchtung, die Einladungen, Getränkekarten und Flyer. Und weil für Architekten „sonst nicht viel geht“, ist ein eigener Club eine Alternative, findet Alois S.*. Er ist 29 und macht gerade sein Diplom. Zusammen mit vier anderen Architekten gehört ihm das „Rio“, der Mitte-Club an der Chausseestraße. Aber S. ist nicht aus Angst vor der Arbeitslosigkeit zum Clubbesitzer geworden: „Vor allem“, sagt er lachend, „macht es wirklich viel Spaß.“

*Name von der Redaktion geändert.

Linda Tüting

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