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Berlin: Werner Klaus Oberländer (Geb. 1933)

„Wenn, dann richtig“, sagen sie und warten auf ein Wunder

Hallo, ich bin Werner, darf ich um einen Tanz bitten?“ Mit diesem Satz geht alles los, mit diesen Worten beginnen 58 Jahre gemeinsames Leben. Werner und Erika. Sie schaut ihn prüfend an. Ein bisschen klein ist er, aber sie ist auch keine Riesin. Dafür ist er durchtrainiert, spielt Handball, jahrzehntelang. „Gerne“, sagt sie, nimmt seine Hand und folgt ihm auf die Tanzfläche des Schützenhofes in Spandau. Er bewegt sich gut, die Füße im Takt, die Hand an ihrer Hüfte. Angenehm ist es. Doch Schmetterlinge im Bauch kommen erst später. War es bei ihrem ersten Spaziergang durch den Tiergarten oder bei einem der vielen Treffen danach?

Werner ist eine solide Partie: Zwei Ausbildungen, eine als Zimmerer, die andere als Maurer, dann ein Fachstudium und schließlich noch einen Meister hinterher. Was für ein Aufstieg und das alles in derselben Firma: „Karl Sange A. G.“ in Spandau. Der Chef spornt ihn an, er sieht das Potenzial in seinem Mitarbeiter: Mach weiter, gib dich nicht mit einer Ausbildung zufrieden. Und Werner arbeitet sich hoch, von einem mit Volksschulabschluss, der Vater ein einfacher Tischler, die Mutter eine Fabrikarbeiterin, zum Bauingenieur und Baumeister.

Von zwei Abenteuern erzählt er immer wieder. 1945, zwölf ist er da. Der Krieg zu Ende, Werner mit seiner Mutter und Schwester in Landsberg, den Vater hat es nach Berlin verschlagen. Da beschließt Werner: „Ich geh jetzt zum Vater.“ Und los zieht er, ist nicht mehr zu halten. Mit auf den Weg nimmt er einen Sack voller 50-Pfennig-Stücke. Läuft nach Küstrin, lässt sich übersetzen, läuft weiter bis nach Berlin. Steht vor dem Vater. Gefunden.

Das andere Abenteuer, 1950, mit einem Freund fährt er auf dem Fahrrad nach Köln. Durch die DDR geht es auf dem Standstreifen der Autobahn, linke Seite, gegen den Verkehr, von der Volkspolizei genehmigt.

Erika und Werner, es wird schnell ernst, nach drei Wochen legen sie ihre Finanzen zusammen. Sie verdient 450 Mark bei Osram und er als Ingenieur 350 Mark. Für’s nette Leben reicht’s, für eine große Hochzeit aber nicht. „Wenn, dann richtig“, sagen sie und warten auf ein Wunder. Und es kommt, Erika hat fünf Richtige im Lotto, 4500 Mark, damit schmeißen sie das Fest ihres Lebens. Erst Polterabend, eine wilde Party, Eisblöcke in der Badewanne für die Getränke, so viele Leute, dass sie auf Bügelbrettern sitzen. Am Morgen fahren sie mit einer weißen Kutsche in die Spandauer Nicolaikirche und danach mit der ganzen Mannschaft zum großen Tanz in den Schützenhof.

In Beständigkeit schreitet das Leben voran: Zwei Söhne, Umzug in die Wohnung direkt im Haus der Baufirma. Zur Arbeit geht’s jetzt nur noch die Treppe runter. Zum Mittagessen sitzt die Familie gemeinsam am Tisch. Für die Jungs ist es toll. Der Hof ist ein Abenteuerspielplatz, die Bauarbeiter ihre Kumpels und wenn der Lastwagen an der Toreinfahrt hält, stehen sie da und betteln, dass er sie die letzten 50 Meter mitnimmt bis in die große Halle. Den beiden wird viel gezeigt, sie fahren mit auf Baustellen und werden später Bauingenieure, so wie ihr Vater.

Und Werner? Der übernimmt mehr Verantwortung in der Firma. Koordiniert, holt Aufträge ran, plant die Baustellen. Wenn die Lehrlinge kein Mathe können, paukt er mit ihnen, bis sie durch die Prüfung kommen. Abends kommen viele Arbeiter gerne noch zu ihm ins Büro, es wird geklönt. Werner hat so eine Art, er akzeptiert die Menschen und urteilt nicht. In großen Runden ist er still, doch dann haut er einen Spruch raus und alle müssen lachen: „Ick Polier, du Polier und keiner will die Karre schieben.“

Die Firma ist sein Leben. Fährt man mit ihm durch Spandau, kann er auf viele der Gebäude zeigen und sagen: „Da hab’ ich mitgebaut.“ Die Spandauer Zitadelle zum Bespiel, jahrelange, mühevolle Kleinarbeit, aber die Restauration hat sich gelohnt.

Beständig sein, dazu gehört für ihn, dass er 26 Jahre lang im Berliner Meisterprüfungsausschuss sitzt. Sein Motto: Wer das Handwerk kann „und nicht hinferkelt“, wie er sagt, der darf bei den schriftlichen Prüfungen sprachlich danebenliegen. Vor allem jenen, die nicht so gut Deutsch sprechen, aber einen eigenen Betrieb aufmachen wollen, kommt das zugute. Für 16 Jahre ist er ehrenamtlicher Beisitzer im Arbeitsgericht. Wenn er darüber spricht, schwingt Stolz mit.

Und Erika und Werner? Sie spielen Tennis, reisen mit dem Wohnmobil durch Europa und Nordamerika, pflegen den Garten rund um die Laube, dann den des eigenen Hauses. Werner wird Opa und zuletzt sogar Uropa.

Dann will sein Herz nicht mehr. Es ist ein Auf und Ab. Mal rein ins Krankenhaus, dann wieder raus. Darüber jammern? Nicht sein Ding. Aber dann beschließt sein Herz, dass es genug gearbeitet hat, und Werner schläft friedlich ein.

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