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Berlin: Werner Krabbe (Geb. 1942)

„Ick sing jetz’ noch Gloria und denn jeh’ ick!“

What can a poor boy do except to sing for a rock ’n’ roll band?“ Als die Textzeile der Rolling Stones aus dem Song „Street Fighting Man“ zum geflügelten Wort wurde, 45 Jahre ist das her, war der Weddinger Junge Werner Krabbe schon längst Sänger in einer Rock ’n’ Roll Band. Er sang begnadet, mit Leidenschaft und tiefer Seele, zuerst bei den Berliner „Hound Dogs“ und dann bei Deutschlands bester Beat-Gruppe der Sechziger. „The Boots“ waren ein befreiender Tritt in den Hintern deutscher Nachkriegsspießigkeit. Und Werner stand vorne mit Tamburin, Maracas, Mundharmonika und dieser Wahnsinnsstimme, die neben den britischen Vorbildern Eric Burdon, Van Morrison, Phil May und Mick Jagger jederzeit bestehen konnte.

Was hätte der Junge aus der Weddinger Schulstraße anderes tun können, nach allem, was er durch hatte? Jetzt konnte er alles rausschreien, den Schmerz und die Verluste.

Während des Krieges musste er mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern aus Berlin wegziehen. Der Vater war an der Front. Ein paar Jahre lebten sie in einem Dorf in Bayern. Das Landleben gefiel ihm, und bei seiner Einschulung beherrschte er den bayerischen Dialekt längst fehlerfrei. Später, als er nach Berlin zurückkam, in die Stadt voller Ruinen, ist er deswegen schwer gehänselt worden. So hat er angefangen, besonders stark zu berlinern. „Wat sollt ick denn andret machen als kleener Piepel, wenn ick keene Kloppe kriegen wollte?“

Seine Lehrer rieten ihm wegen seines zeichnerischen Talents zum Besuch einer Kunstschule, aber dafür fehlte das Geld – und vielleicht auch die Geduld und Kraft seiner Mutter, die mit drei Kindern allein und überfordert war. Werner stellte Dummheiten an, kam in den Jugendarrest, dann ins berüchtigte Erziehungsheim „Jugendhof Schlachtensee“. Dort lernte er Erzieher und Methoden kennen, die aus der Nazizeit übrig geblieben waren. Mit Kasernenhof-Drill versuchten sie, den Jugendlichen die Flausen auszutreiben. Und Werner träumte sich weit weg. Die Indianer Nordamerikas hatten es ihm angetan. Er las die ganzen Abenteurerbücher. Später begann er, sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Er nähte sich Mokassins aus Stoff und lief mit ihnen durch Berlin, bis sie ihm in Fetzen um die blutenden Füße hingen.

Eine Lehre als Dekorationsmaler brachte er zu Ende, die Arbeit war aber öde und hatte nichts zu tun mit seinem Wunsch nach künstlerischem Ausdruck. Was also sollte er machen?

Harte Zeiten drückten sich aus im harten Beat. „Dschieh-Ell-Oh-Arr-Ei-Ey! Gloooria!“ Der Song von Van Morrisons Band „Them“ war das Glanzlicht bei den Konzerten der „Boots“. Die Anhängerschaft wurde immer größer, die Fans folgten der Band zu den Auftritten in die entlegensten Außenbezirke West-Berlins: „Sportkasino Tiefwerder“, „Jagdschloß Hermsdorf“, „Top Ten Rudow“. Und sie ließen sich die Haare so lang wachsen wie die Musiker.

Von Leuten, die weniger Verständnis für Beat und lange Haare hatten, wurde Werner einige Male beschimpft, angerempelt und verprügelt. Am Hermannplatz zogen ihn Bauarbeiter aus der U-Bahn und schlugen ihn zusammen. Er war gerade auf dem Weg zu einem Auftritt. Ab jetzt fuhr er nur noch mit dem Taxi zu den Konzerten. „Aba die Taxifahrer ham mich ooch oft stehnjelassen wejen meiner langen Haare. So war dit damals. Weeß nur heute keener mehr.“

Bei der Plattenfirma „Teldec“ wunderte man sich, warum ausgerechnet in Berlin so viele Singles der irischen Gruppe „Them“ verkauft wurden. Weil es von der „Gloria“-Version der „Boots“ keine Platte gab, kauften die Berliner Fans eben das Original. „Teldec“ nahm daraufhin auch Werners „Boots“ unter Vertrag. 1965 veröffentlichten sie die vielleicht beste LP einer deutschen Band der sechziger Jahre: „Here Are The Boots“. Sie traten im Hamburger „Star-Club“ auf und in der Fernsehsendung „Beat Club“. Sie spielten in jedem Beatschuppen zwischen Flensburg und München, ständig unterwegs.

„Aba so romantisch wie dit aussieht, war dit ooch wieda nich’.“ Die Fahrerei im klapperigen Bandbus, die miesen Absteigen, der Schlafmangel, die schlechte Verpflegung, vier bis fünf Stunden singen in verqualmten Kaschemmen, Nacht für Nacht – wer hält das durch? Von den Substanzen zum Wachbleiben, den bei den Bands damals üblichen Amphetaminen, wollte Werner nichts wissen. Seine Stimme wurde immer rauer und heiserer, bis sie schließlich völlig zu versagen drohte. Im März 1966, vor einem Auftritt, fanden die Musiker der „Boots“ im Pensionszimmer statt ihres Sängers einen Brief: „Liebe Boots! Habe eine totale Stimmüberreizung und leichte Grippe. Wenn ich wieder gesund bin, werde ich wieder meiner Pflicht nachgehen. Ich will selbstverständlich nicht aussteigen. Ich weiß nur nicht, ob meine Stimmbänder eine weitere 7tägige Belastung aushalten, wie gesagt, ihr habt keinen Caruso eingekauft. Hochachtungsvoll, bis bald, verbleibt Euer Werner Krabbe.“ Der Brief war ihm später peinlich. Er ist trotzdem im Rockmuseum Gronau archiviert.

Nach ein paar Wochen Pause sang Werner wieder. Aber als sich die Musik der „Boots“ veränderte, weg vom groben R & B, hin zu Pop, Psychedelia und Jazzeleien, stieg er aus.

Und kehrte dem ganzen Musikzirkus den Rücken. In Spandau machte er eine Zoohandlung auf, in Kladow bezog er mit Ehefrau und Tochter ein Häuschen mit Garten und Tieren. Für Aquarien hatte er sich schon früher interessiert: „Füschfutta hammse mich jenannt, weeste?“

Ganz vorbei mit der Musik war es aber nicht. Im Keller richtete er sich ein Tonstudio ein, sang da allerdings nur noch privat. Bis es ihn doch wieder auf die Bühne zog, zu Gastauftritten mit anderen Bands für ein bisschen mehr Glanz. Und immer wieder „Gloria“.

1982 gründete er mit ein paar Kumpels aus alten Zeiten noch einmal eine richtige Band: „The Beat Band“. Sie gaben ein paar Konzerte und nahmen eine Platte auf, alte R & B-Klassiker – und „Gloria“.

2005 traten die „Boots“ noch mal im „Quasimodo“ auf. Die alten Fans kamen aus ganz Deutschland und grölten „Werner, Werner, Werner!“ Der überwand sein Lampenfieber, und es wurde ein Triumph. Was jetzt? Für Werner war es immer alles oder nichts, Größenwahn oder Depression. Der nächste Auftritt sollte mindestens in der Columbiahalle sein: „Die kriegen wa doch locker voll!“

Aber dann wollte er lieber nach Thailand, vielleicht sogar für immer. „Sach mir, watt ick hier noch soll? Dreimal jeschieden und so wat allet!“

Seine erste Frau hatte er auf einem Rummelplatz kennengelernt, sie bekamen eine Tochter. Aber, wie es so geht, ging es irgendwann nicht mehr. Nach der Scheidung kam eine schöne Witwe in Werners Zoohandlung. Ihre Tochter wünschte sich einen Hamster. Sie bekam ihn, und Werner bekam die Mutter, heiratete sie und adoptierte die Tochter. Die Ehe hielt genau so wenig wie die davor und die danach. „Allet weg, meen schönet Haus, meene juten Gitarren! Na ja, die Frauen, weeßte ja.“

Und die, die er in Thailand heiraten wollte, war nur auf sein Geld scharf. Also wieder zurück nach Spandau, in die winzige Wohnung, ein Zimmerchen mit abgeteilter Küchenecke, eng wie im Wohnwagen aber liebevoll eingerichtet und mit Blick auf den Spandauer Forst.

Da saß er in seiner Computerecke, plante ein Buch über sein Leben, korrespondierte per E-Mail, schrieb, dass das Älterwerden nichts sei für ihn. Er hatte sich doch immer wie mit 18 gefühlt. Älter als 60, hatte er mal gesagt, würde er sowieso nicht werden wollen.

Den Plan, sich zum runden Geburtstag zu erschießen, verwarf er aber doch. Jetzt dachte er über eine weitere „Boots“-Reunion nach, aus der dann doch nichts wurde. Dann kam ihm noch die Wahnsinnsidee, mal so eine Internet-Partner- Börse auszuprobieren. Er machte sich um ein paar weitere Jahre jünger, als er’s schon in den Musikerbiografien getan hatte, erzählte nichts von seiner Rockstarkarriere, nur dass er ein bisschen Gitarre spiele, und fand Rita, seine späte große Liebe. Sie war überrascht, als sie erfuhr, was für ein Sänger Werner war. Denn zu seinen Gastauftritten nahm er sie natürlich mit: Wenn er Senioren-Beat-Abende mit freundlichen Rentnerbands zu großen Ereignissen machte. Oder, wenn der coole 70-Jährige den „Bassy Club“ voller junger Leute zum Toben brachte. Zum Schluss sagte er: „Ick sing jetz’ noch Gloria und denn jeh’ ick!“ Zu einem Freund meinte er danach: „Dit war jetz’ wohl wirklich meen letzter Ufftritt!“ Rita fand ihn in seinem Bett: Herzinfarkt. H. P. Daniels

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