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Westend: Gemeinde will eingestürzte Kirche weiterbauen

"Das sind wir dem Pfarrer schuldig": Nach dem Einsturz ihrer Kirche in Westend trauert die Rumänisch-orthodoxe Gemeinde weiter um ihre Toten. Aufgeben will sie den Neubau ihres Gotteshauses aber nicht.

Von Sandra Dassler

Der kleine Chor singt wunderschön. Die Frauen und Männer übertönen sogar den Lärm draußen auf der Heerstraße. „Eigentlich wollte Vater Constantin diese Messe halten“, sagt eine schwarz gekleidete Frau und versteckt die Tränen hinter einem Papiertaschentuch. Neben ihr bekreuzigen sich zwei Männer – einer kniet, der andere steht. Sie tragen dunkle Anzüge über weißen Hemden. Viele Frauen haben ihre Haare mit Tüchern bedeckt.

Am 6. August wird nach dem liturgischen Kalender das Fest der Verklärung des Herrn begangen, doch für die Mitglieder der rumänisch-orthodoxen Gemeinde Berlins wurde es gestern zur Trauerfeier. Wie berichtet, waren ihr Pfarrer Constantin M. und ein weiteres Gemeindemitglied, Nicolai C., am Dienstag getötet worden, als sie ein Gebäude abreißen wollten, um eine Kirche zu bauen.

Die provisorische Kapelle, in der gestern getrauert wurde, liegt im selben Gebäude, die Bauaufsicht hatte keine Bedenken gegen ihre Nutzung. Etwa 70 Menschen, darunter die Pfarrer der serbischen und russischen orthodoxen Gemeinde beteten mit dem aus Nürnberg angereisten Erzbischof Serafim Joanta für die Verstorbenen. Serafim, der als Metropolit für Deutschland und Zentral- und Nordeuropa zuständig ist, tröstete die Trauernden damit, dass Pfarrer Constantin für seinen großen Traum – eine Kirche – gestorben sei. „Man kann es nicht rational fassen, es ist mystisch, aber jedes Haus fordert offenbar Opfer“, sagte er.

Draußen vor dem halb eingestürzten Gebäude diskutierten derweil Freunde und Nachbarn etwas weltlicher über das Unglück: „Pfarrer Constantin hat alles gemacht“, sagt Christa Becher, die nebenan wohnt: „Autos repariert und gemalert. Er war offen für alle Menschen. Warum muss so einer mit 49 Jahren sterben?“ Auch der 36-jährige Nicolai C. sei stets freundlich und hilfsbereit gewesen, erzählt Christa Becher. „Die Rumänen nannten ihn Nicu, aber für uns war er Micky.“

Ein Ehepaar nickt heftig. „Gestern hat einer angerufen und gesagt, Micky sei tot“, sagt der Mann. „Er war mein Kollege, immer so fleißig und genauso alt wie mein Bengel.“ Der Mann schüttelt den Kopf und weint lautlos. Seine Frau steckt einen Strauß weißer Rosen in die Vase.

Vor dem Grundstück liegen inzwischen viele Blumen. Fotos zeigen die Verstorbenen, Grablichter und Kerzen brennen. Die Witwe des Pfarrers steht davor. „Vater Constantin hatte sie und seine drei Kinder gerade nach Rumänien gefahren, wo sie sonst immer den Urlaub verbringen“, erzählt Sascha Goretzko von der rumänisch-orthodoxen Gemeinde: „Dieses Jahr ist der Pfarrer zurückgekommen, um bei den Abrissarbeiten zu helfen.“ Neue Erkenntnisse zur Unglücksursache gibt es laut Polizei bislang nicht. Vorwürfe, man hätte die Arbeiten lieber von einer Firma ausführen lassen sollen, weisen die Gemeindemitglieder zurück. Schließlich handelte es sich nicht um ein größeres Gebäude , außerdem waren die Helfer nicht unerfahren mit Bauarbeiten.

Der Abriss wird bereits durch eine Firma fortgesetzt, denn über eines sind sich alle einig. „Die Kirche wird gebaut – das sind wir Vater Constantin und Nicu schuldig“, sagt Metropolit Serafim. Die anderen orthodoxen Gemeinden haben ihre Unterstützung zugesichert. Auch der Ökumenische Rat Berlin-Brandenburg will helfen und hat eine Bankverbindung für Spenden eröffnet , die unter der Telefonnummer (030)3421000 erfragt werden kann. Mit dem Geld soll nicht nur der Kirchenneubau, sondern auch die Überführung der Toten zur Bestattung nach Rumänien bezahlt werden. „Pfarrer Constantin ist dort sehr bekannt“, sagt Metropolit Serafim: „Zehntausende beten dort für ihn und warten auf seine Rückkehr.“

Zuvor aber soll Constantin M. in Berlin aufgebahrt werden, wie es der Tradition entspricht. Möglicherweise gibt es dann noch einen weiteren Trauergottesdienst.

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