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Der Herbst wird grau. Hier zieht Nebel über die Havel nahe Ketzin in Brandenburg.

© dpa

Wetter im Oktober: Endlich ist alles grau in Berlin

Straße grau, Wolken grau, Gemüt grau. Der Berliner Herbst präsentiert sich gerade von seiner farblosen Seite. Grau hat aber auch gute Eigenschaften.

Wind bläst den Nieselregen ins Gesicht und die Wolken hängen so tief, dass der Fernsehturm ganz ohne Kugel dasteht. Es ist Oktober in Berlin, der farbige Septemberherbst ist verblasst oder eben einfach nicht mehr zu sehen. Übrig bleibt ein tristes Grau. Aber zum Glück gibt es Menschen wie den Berliner Farbforscher Axel Venn; der verkündet: Grau ist besser als sein Ruf.

Schauen wir doch mal nach bei Loriot anno 1988. „Da haben Sie 28 Grautöne in jeder Qualität, da werden Sie bestimmt zufrieden sein: Mausgrau, Staubgrau, Aschgrau... Soll ich da mal so ein ganz frisches Steingrau empfehlen?“ fragt Möbelgeschäftsinhaber Paul Winkelmann alias Loriot ein Rentnerehepaar, als es um Farbwünsche für ein neues Sofa geht. Zwar hintertreibt er damit die Bemühungen von Psychologin Margarethe Tietze, mithilfe von Gelb oder Apfelgrün nicht nur den Sofabezug, sondern auch den Ehealltag aufzufrischen. Aber Stoffverkäufer Winkelmann war seiner Zeit wohl einfach voraus.

Grau ist nicht gleich grau.
Grau ist nicht gleich grau.

© Fabian Bartel

Die Jungen wollen ihre Ruhe - in Grau

Fast 30 Jahre später hat Grau allerdings so gar nichts mehr mit Rentnern zu tun, ganz im Gegenteil. Heutzutage jedenfalls ist Grau laut Venn im Trend und inbesondere bei Jugendlichen beliebt. „Diesen Trend gibt es erst seit etwa drei bis vier Jahren“, sagt Venn. Den Grund kennt er auch: „ Grau ist unauffällig. Junge Menschen wollen sich oft verstecken, in Ruhe gelassen werden mit sich und ihrem Smartphone.“ Kühl nach außen wirken – das klingt dann doch schon wieder nach Berlin.

Grau ist auf jeden Fall ein Statement: Lass mich mein Ding machen, du mach mal deins.

Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut in Köln nannte die Farbe zuletzt „das neue Schwarz“. Und Schattierungen gibt es genug. Der allgemeingültige RAL-Farbenindex zählt allein 38 Grautöne (siehe Grafik). Darunter sind schön klingende Töne wie Perlmausgrau, Signalgrau und Fenstergrau – das übrigens an fiese Gewitterwolken erinnert.

Bei aller Vielfalt hat Grau trotzdem eine eher konservative Qualität. Die Jugend sei laut Venn ohnehin nicht mehr so rebellisch wie ihre Vorgängergenerationen, das drücke sich auch der Farbwahl aus. Außerdem sei es zum Teil auch eine Gegenreaktion auf den Stil der Menschen zwischen 50 und 90, die „jungen Alten“, wie Venn sie nennt. Sie bevorzugten inzwischen bunte Farben, wenn schon schon die Haare grau seien. Ältere wollen das Gegenteil der grauen Jugend: Akzente setzen, auffallen. „Die Farben müssen lauter sein, in Grau wird man nicht gut alt“, findet Venn.

Seit "Fifty Shades of Grey" ein Phänomen

Während junge Menschen sich in einen grauen Schleier hüllen um vor der digitalen, vernetzten Welt wenigstens vielleicht noch ein bisschen Schutz zu finden, muss es bei den Alten richtig knallen Grau spielt aber nicht nur bei Kleiderfarben eine wichtige Rolle. Es gehört zu Städten und Straßen, Industriekomplexen und Startup-Lofts, zum modernen Minimalismus und zeitgenössischen Fotogalerien.

Nicht zuletzt sei das Phänomen Grau seit den Büchern und Filmen der „Fifty Shades of Grey“-Reihe mit mehr Aufmerksamkeit und einem fast verruchten Ruf bedacht worden, meint Venn. Auch wenn sich „Grey“ in dem Fall eigentlich auf den Namen des Hauptdarstellers bezieht. Egal, der Name ist Programm – Grau, jung und mysteriös.

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