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Wasser marsch? Hier, wo Ralf Binz steht, sprudelt es sonst wieder in dem unterirdischen Reinwasserbehälter. Beinahe ein Jahr lang stand der Behälter wegen einer Reparatur leer – und konnte nun besichtigt werden.

© DAVIDS / Dominique Ecken

Wie kommt Berlin ans Trinkwasser?: Unter dem Pflaster liegt der Tank

Zum Glück kommt immer frisches Wasser aus dem Hahn, bei der Hitze. Aber wie klappt das? Eine unterirdische Exkursion.

Ralf Binz steht auf dem Trockenen, was für ihn als Leiter eines Wasserwerks kein Grund zur Freude ist. Schon gar nicht, wenn er sich auf dem Boden eines Reinwasserbehälters befindet. Ein unterirdischer Raum mit Betonwänden, der mit seinen vielen Tragsäulen einem evakuierten U-Bahnhof ähnelt, in dem nur die Notbeleuchtung glimmt. Es gibt hier unten weder Tageslicht noch Jahreszeiten, nur ewige Finsternis bei Grundwassertemperatur, also frischen zwölf Grad. Aber draußen ist die Stadt mit ihren Menschen und Gärten, die im Hochsommer ganz schön durstig werden kann. „Wenn hier wieder Wasser drin ist, ist mir wohler“, sagt Binz. Wie ein davonfahrendes Auto streifen seine Worte als Brummen durch diesen 70 Meter langen, 60 Meter breiten und gut vier Meter hohen Säulenwald. Ein Blick auf die Stoppuhr: 24 Sekunden sind sie unterwegs, bis es ganz still geworden ist. Unfassbar still.

800 000 Kubikmeter - die müssen irgendwo herkommen

Nach fast einem Jahr, in dem der Behälter wegen eines Schadens an der Belüftung leer war, soll das Wasser in der kommenden Woche endlich wieder hereinsprudeln aus jenem gebogenen Schlund im Boden in der hintersten Ecke, der für Laien wie eine Rutschbahn zur Hölle aussieht, aber für den Experten eine banale Zuleitung ist. 1,6 Meter sind die Rohre im Wasserwerk Tiefwerder an der Havelchaussee dick.

Hundert Jahre wird das an einem entengrützengrünen alten Havelarm zwischen Waldbühne und Wilhelmstadt gelegene Wasserwerk in diesem Jahr. Im September soll das Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür gefeiert werden. Aber noch ist Binz nicht in Feierlaune: Normalerweise warten die Wasserbetriebe ihre Behälter nur im Winterhalbjahr, wenn die Stadt eher weniger als die durchschnittlichen 530 000 Kubikmeter Trinkwasser pro Tag verbraucht. Im Hochsommer können es auch mal 800 000 Kubikmeter sein, die irgendwo herkommen müssen, sobald die Leute den Hahn aufdrehen. Überwiegend aus den Brunnen in den Berliner Wasserschutzgebieten natürlich.

Wasser marsch? Hier, wo Ralf Binz steht, sprudelt es sonst wieder in dem unterirdischen Reinwasserbehälter. Beinahe ein Jahr lang stand der Behälter wegen einer Reparatur leer – und konnte nun besichtigt werden. Foto: DAVIDS / Dominique Ecken
Wasser marsch? Hier, wo Ralf Binz steht, sprudelt es sonst wieder in dem unterirdischen Reinwasserbehälter. Beinahe ein Jahr lang stand der Behälter wegen einer Reparatur leer – und konnte nun besichtigt werden. Foto: DAVIDS / Dominique Ecken

© DAVIDS/Dominique Ecken

Aber eben auch aus diesem 16 000 Kubikmeter fassenden Behälter, der mit seinen über die Stadt verteilten Artgenossen so etwas wie das unterirdische Pendant zu Wassertürmen bildet. Die Speicher sind die größten Lebensmittelverpackungen der Stadt. 16 Millionen Liter allein hier – das deckt den statistischen Tagesbedarf von 140 000 Durchschnittsberlinern. Im Berliner Südwesten, der vom Wasserwerk Beelitzhof mit seiner Außenstelle Tiefwerder versorgt wird, liegt der Verbrauch etwas höher, weil die Haustechnik in den westlichen Bezirken meist etwas älter und die Gegend relativ wohlhabend ist, so dass der Rasensprenger gern mal länger laufen darf.

Wie ein Riesenduschkopf

Wäre die regenlose Hitzewelle schon im Mai oder Juni gekommen, hätten die Leute erfahrungsgemäß noch viel mehr Wasser verbraucht. Dann springen die Pumpen in den Brunnen und Wasserwerken an, die wegen des seit der Wende halbierten Wasserverbrauchs großenteils nur noch Reserve für wenige heiße Tage sind. In den Brunnen läuft das Wasser in 50 bis 120 Meter Tiefe durch eine Art perforiertes Rohr zu den Pumpen, die es ins Wasserwerk schicken. Während Wasserwerke anderswo Chemiefabriken ähneln, wird in Berlin nur Sauerstoff gelöst, indem das Wasser aus einer Art Riesenduschkopf sprudelt. Außerdem werden Eisen und Mangan oxidiert und herausgefiltert, die das Wasser rostig färben würden. Da es keimfrei aus den Tiefen des Sandbodens kommt, muss es auf dem Weg zu den Abnehmern nur sauber gehalten, aber nicht desinfiziert werden.

Normalerweise jedenfalls nicht. Die Chlorstation existiert nur vorsorglich, falls Keime ins Wasser geraten – so geschehen etwa vor zwei Jahren in Spandau, als nach heftigem Regen Oberflächenwasser in einen Brunnen lief. Der Einsatz von Chlor „ist für uns eine Katastrophe“, sagt Binz und meint damit nicht nur den unangenehmen Geschmack, den man aus manchen Urlaubsländern kennt. Auch der an den Rohren haftende „Biofilm“ werde durch Chlor plötzlich abgelöst und gelange dadurch als hochgradig unappetitlicher Beigeschmack zu den Kunden.

Die Gummistiefel sind desinfiziert

Damit es ohne Chlorzusatz funktioniert, führt der gummigestiefelte Weg zum Reinwasserbehälter durch eine Wanne mit Desinfektionslösung. Binz kommt ins Schwärmen darüber, wie gut das Berliner Wasser ist, das fast komplett im Stadtgebiet gewonnen wird. Jene, die bei den Wasserbetrieben fürs Frischwasser zuständig sind, preisen nicht nur die geologischen Verhältnisse des sandigen Berliner Bodens, sondern auch ihre Kollegen in den Klärwerken, die dafür sorgen, dass auch das Abwasser auf seinem meist jahrelangen Weg durch den Boden wieder zu Trinkwasser werden kann.

Sechs bis acht Leute arbeiten täglich in der Idylle von Tiefwerder, genießen die Ruhe des Waldes ringsum, den Schatten des Apfelbaums vor der Kantine und den Picknickplatz auf dem Betonsockel des längst verschwundenen Ladekrans, der einst die Kohleschiffe für die Dampfmaschinen leer baggerte.

Mach dich frisch. Berlins Freibäder sind bei der Hitze voll.
Mach dich frisch. Berlins Freibäder sind bei der Hitze voll.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bleibt die Frage, wie die Kantine für ein halbes Dutzend Leute funktioniert. „Das ist nur noch eine Teeküche“, sagt Binz. „Als ich hier vor 28 Jahren anfing, haben hier 39 Leute gearbeitet.“ Das mit der Arbeit meint er allerdings nicht ganz wörtlich, sondern berichtet von absurd gründlich gepflegten Rosenbeeten vor dem Eingang. Lange her. Nur das Wasser ist noch wie damals.

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