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Berlin: Wie man nie warten muss

Kleine Geschichten von oder über Menschen, die auf den Arzt warten, die stehen hier jeden Montag. Heute: unsere Autorin Ulrike Simon beim Zahnarzt in Prenzlauer Berg.

Kleine Geschichten von oder über Menschen, die auf den Arzt warten, die stehen hier jeden Montag. Heute: unsere Autorin Ulrike Simon beim Zahnarzt in Prenzlauer Berg.

Wie jeder normale Mensch hasse ich es, zum Zahnarzt gehen zu müssen. Ich hasse das so sehr, dass ich brav alle sechs Monate zu ihm gehe. Bei mir bekommt er keine Gelegenheit, orale Großbaustellen aufzumachen, in denen er sich lang und genüsslich austobt. Mehr als Kleinarbeit gibt es bei mir nicht, da sorge ich vor. Ratzfatz, fertig. Nur so gelingt es mir, die Situation schnellstmöglich zu beenden, in der ich unwürdig auf diesem Stuhl liege, aus dem Mund einen Speichelabsaugschnorchel hängen habe und unfähig bin, verbalen Widerstand zu leisten.

Zum taktischen Vorgehen gehört außerdem, darauf zu achten, grundsätzlich die erste Patientin des Tages zu sein – und wenn ich dafür noch so früh aufstehen muss. Mehr noch als die Behandlung hasse ich das Warten. Ich kann stundenlang irgendwo sitzen, Menschen gucken und Zeitung lesen. Im Wartezimmer kann ich mich auf keine einzige Zeile konzentrieren. Jeden Mitwartenden, der vor mir dran ist, betrachte ich als meinen persönlichen Feind, der mir wertvolle Lebenszeit stiehlt. Außerdem hat es kein Zahnarzt verdient, dass man auf ihn wartet. Meiner weiß das. Um 8 Uhr 45 war der Termin, um 8 Uhr 45 kam ich, um 8 Uhr 45 konnte ich ins Behandlungszimmer. Rein, es über sich ergehen lassen, raus, Ende.

Es ist 9 Uhr. Der Tag kann beginnen.

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