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Berlin: Wildwest auf der Straße: Nach Streit Motorradfahrer gerammt

Die Sitten im Verkehr werden immer rauer / Prozessauftakt wegen versuchten Mordes

Von Katja Füchsel

Eine Vollbremsung, ein Fluch, ein Stinkefinger – was wie eine tägliche Begegnung im Straßenverkehr begann, endete auf der Autobahn 100 laut Staatsanwalt mit einem Mordversuch: Auf der Autobahn zog der Mazda-Fahrer „aus Verärgerung und Wut“ seinen Wagen scharf nach links und rammte das Motorrad seines Kontrahenten auf der Überholspur. Ein extremer Fall, sagt Staatsanwalt Matthias Rebentisch. Aber auf Berlins Straßen lägen die Nerven häufig blank. „Da können selbst ruhige, harmlos wirkende Leute mutieren.“

Die Wut von Frank F. scheint beim Prozessauftakt im Moabiter Kriminalgericht verraucht. Während sein Anwalt eine Erklärung verliest, schaut der 42-jährige Schlosser an die Decke, kämpft mit den Tränen. Blauer Anzug, blaue Krawatte, weißes Hemd. Er will sich zu den Vorwürfen – versuchter Mord, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und Unfallflucht – nicht äußern, dafür berichtet Robert H., der Motorradfahrer, umso ausführlicher. „Der hat sich benommen, als ob er der Straßenhäuptling ist, und alle anderen müssen sich unterordnen.“

Doch Robert H., ein 39-jähriger Industriekaufmann, wollte sich auf seiner Yamaha nicht unterordnen, an jenem 29. Mai 2000. Schließlich war er von dem Mazda an der Kreuzung Schul- Ecke Müllerstraße geschnitten worden. „Da bin ich hinter ihm her.“ An der nächsten Ampel stellte er den Autofahrer zur Rede, schimpfte: „Guck mal, wo du hinfährst, Vollidiot! Ich habe nur zwei Räder und will noch ein bisschen leben!“

Weil keiner der beiden einlenkte, ging es laut Zeugenaussage so noch ein paar Ampeln weiter: Mazda vorneweg, Yamaha hinterher. Die Yamaha schert links aus, der Mazda auch. Yamaha rechts, Mazda auch. Als das Auto an einer Ampel bei den Manövern über den Fuß von Robert H. fährt, tritt dieser gegen den Kotflügel des Mazdas. „Da habe ich gedacht: Das hat keinen Sinn, das eskaliert jetzt“, sagt der Motorradfahrer.

So wie es im Berliner Straßenverkehr immer öfter passiert. „Seit etwa zehn Jahren nimmt die Aggressivität und Gewalt kontinuierlich zu“, sagt Polizeidirektor Wolfgang Klang. Da gibt es die Radfahrer und Fußgänger, die über falsch geparkte Autos laufen, Rückspiegel abbrechen, Halteverbotszeichen in die Scheiben ritzen. Oder Autofahrer, die sich behindert fühlen und deshalb andere hupend von rechts überholen, schimpfen, drohen, meistens den Stinkefinger, manchmal aber auch eine Pistole zeigen.

„Sehr beliebt ist es ferner, andere Fahrer sozusagen zur Disziplinierung auszubremsen“, sagt Staatsanwalt Rebentisch. An der nächsten Ampel werde es zwischen den Kontrahenten dann nicht selten handgreiflich. Menschen, die oft nie zuvor mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, stehen später vor Gericht und bekommen hier in der Regel bescheinigt: „Charakterlich ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen“, kurz: Pappe weg. „Das tut den meisten mehr weh als die Geldstrafe“, sagt Rebentisch.

Dass im Verkehr so viele rot sehen, ist nicht nur ein Berliner Problem. Auf Brandenburgs Straßen sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres mit 180 Verkehrsteilnehmern rund 10 Prozent mehr Menschen ums Leben gekommen als im ersten Halbjahr 2001. „Es wird schlecht, riskant, nicht vorausschauend gefahren, es wird vor Kuppen, vor Kurven überholt“, sagt Potsdams Innenstaatssekretär Eike Lancelle. Das Verkehrsgeschehen sei von Rechthaberei und Rücksichtslosigkeit geprägt.

Aufsehen erregt derzeit auch ein Fall aus dem Land- und Amtsgericht Schwerin, wo Box-Profi Jürgen Brähmer (24) auf der Anklagebank sitzt. Er soll einen Autofahrer in Hamburg bewusstlos geschlagen haben – während seiner Bewährungszeit.

Der Angeklagte Frank F. wird künftig auch zu den Fußgängern wider Willen gehören. Laut Anklage wollte er den Streit damals nicht auf sich beruhen lassen, verfolgte das Motorrad und rammte es auf der Autobahn. Robert H. überschlug sich mehrfach und blieb auf der Mittelspur liegen. Er kam mit einem Schädelhirntrauma, einem gebrochenen Zeh und Prellungen davon. Dass es so glimpflich ausging, „habe ich wohl meiner sportlichen Verfassung zu verdanken“, sagt er. Im Moabiter Kriminalgericht wird am Freitag weiterverhandelt. Beim gestrigen Auftakt hatten sich Angeklagter und Zeuge nichts mehr zu sagen. „Er hat mich drei oder vier Wochen nach dem Vorfall angerufen“, sagt Robert H. Das Gespräch habe ruhig begonnen, sei dann aber „genau wie im Verkehr“ eskaliert. „Da habe ich aufgelegt.“

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