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Berlin: Willkommen, bienvenue, merhaba!

Hier gibt’s alles, was es auch am Bosporus gibt, vom Hamam bis zur Moschee. Klein-Istanbul wird Kreuzberg auch genannt. Durchs türkische Berlin führt unser fünfter Spaziergang – und zum Schluss in die Orient Lounge auf eine Wasserpfeife mit Apfeltabak

STADTTOUR 5: VON KLEIN-ISTANBUL IN DIE MOSCHEE UND DANN INS HAMAM

Oben auf der Kuppel glänzt der goldene Halbmond im Sonnenlicht. Unten sitzt Recep Türkoglu im Schatten, nippt an seinem Tee und wundert sich. Ob deutsche Besucher im Gebetsraum willkommen sind? Ob knappe T-Shirts verboten sind? Und kurze Hosen? Ob Besucher fotografieren dürfen? Sich unterhalten? Erst nickt Türkoglu nur, dann platzt es aus ihm heraus. „Natürlich darf man das!“, sagt er Kopf schüttelnd. „Kommen Sie, wie Sie sind!“

Eigentlich wollten sie in der Sehitlik Moschee im Oktober Einweihung feiern, doch derzeit scheint am Columbiadamm alles offen. Weil die Minarette fast zehn Meter höher als genehmigt ausgefallen sind, hat der Bezirk verfügt, dass erst mal nicht mehr weitergebaut werden darf. Egal: Wer bei der Tour durchs türkische Berlin ein Fahrrad dabei hat, sollte einen Abstecher zum Columbiadamm machen. Zur Moschee wie aus 1001 Nacht: mit Kuppeldach, bunten Glasfenstern, Spitzbögen und Marmor. Auf dem Hof sitzen Frauen mit Kopftüchern, Männer lassen Gebetsketten durch die Hände gleiten. Vorm Gebetsraum stehen Schuhpaare aneinander gereiht. Ganz schön fremd?

„Gäste sind hier gern gesehen“, sagt Türkoglu, der Vorsitzende des Moscheevereins; man sollte sich vielleicht nur nicht gerade den Freitag, den Tag des großen Mittagsgebets, aussuchen. Mit ihrer Gastfreundschaft ist Türkoglus Gemeinde keine Ausnahme. Ob hier oder in der Merkez Moschee in der Wiener Straße, ob im Kulturzentrum der Anatolischen Aleviten oder im türkischen Restaurant im Deutschen Haus – fast überall in Kreuzberg heißt es für Besucher: Willkommen, bienvenue, merhaba!

Wer hier auf türkischen Spuren spazieren will, muss eigentlich nur auf den Boden schauen, um zu wissen, ob er richtig ist. Liegen auf dem Bürgersteig überall Kürbis- und Sonnenblumenkernschalen verteilt, ist man mittendrin im türkischen Berlin. „Das Kerneknacken ist wirklich Volkssport Nummer eins“, sagt Celal Altun von der türkischen Gemeinde – und meint: „Ist auch besser als rauchen.“ Dafür, dass der Nachschub nicht ausgeht, ist das „Smyrna Kuruyemis“ in der Oranienstraße da. Kuruyemis heißt übersetzt so viel wie Trockenfutter und ist ein traditioneller Snack, der in der Türkei zum Tee wie zum Cocktail gereicht wird. Bis Mitternacht kann man sich im Smyrna mit frisch gerösteten Kichererbsen, Nüssen, aber auch mit Tee und türkischen Süßigkeiten eindecken.

Man kann nicht gerade sagen, dass die Berliner viele Erfahrungen mit türkischer Lebensart gehabt hätten, als Anfang der 60er Jahre die ersten Gastarbeiter in Berlin eintrafen. Zur Kaiserzeit lebten gerade einmal rund 2000 Menschen vom Bosporus an der Spree – meist Studenten und ein paar Offiziere zur Militärausbildung; da gab es sogar schon die Moschee am Columbiadamm. Durch die Kriege sank die Zahl der Türken jedoch bald wieder: 284 waren es 1961, als Bonn mit Istanbul das Abkommen zur „Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer“ abschloss.

Die meisten der Gastarbeiter der ersten Generation planten, nur einige Jahre in Deutschland Geld zu verdienen – viele blieben dann doch. Die Familien kamen nach, Kinder wurden geboren. Heute lebt bereits die dritte Generation in der Stadt, die von vielen oft als größte türkische Stadt außerhalb der Türkei bezeichnet wird. 122 744 Menschen mit türkischem Pass sind heute in der Hauptstadt gemeldet – davon rund 24 000 in Kreuzberg; weitere 48 000 Berliner türkischer Herkunft haben die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen.

Klein-Istanbul – so wird Berlin heute rund ums Kottbusser Tor genannt. Für die Integration der Zuwanderer ist diese Ballung türkischer Lebensart sicherlich nicht gerade hilfreich, doch Spaziergänger können sich einen Tag lang hier wie im Urlaub fühlen, zwischen türkischen Bäckereien, Buchhandlungen und Barbieren. Hier kann man sich durch die Türkei schmecken, riechen, schauen – und kaufen: Samoware, Wasserpfeifen oder türkische Popmusik zum Beispiel. Am schönsten ist das Riechen-Schmecken-Kaufen auf dem türkischen Markt am Maybachufer, wo Düfte orientalischer Gewürze in die Nase steigen und die Petersilien-Bünde groß wie Blumensträuße sind. Absolut empfehlenswert ist der Besuch einer türkischen Bar, wenn ein Champions-League-Spiel von Galatasaray Istanbul übertragen wird. Jeder Ballkontakt ein Fest, jedes Tor ein Tanz. Und es geht noch bunter: Jeden letzten Samstag im Monat wird im „SO36“ in der Oranienstraße „Gayhane“ gefeiert, eine schwul-lesbische türkische Party.

Es waren die günstigen Mieten, die Kreuzberg für die Zuwanderer einst so attraktiv machten – aber nicht nur für sie. Heute bevölkert die typische Kreuzberger Mischung die Gegend rund um den „Kotti“: Türken, Deutsche, Arbeiter, Studenten, Junkies, Yuppies, Punks, Alternative. Fast die Hälfte der Einwohner kommt aus dem Ausland, ihre Kultur hat das Straßenbild geprägt. Selbst im „Deutschen Haus“, dem ehemaligen Hotel an der Skalitzer Straße. Oben steht der Name noch in Frakturschrift auf der Fassade, unten sitzen türkische Männer vor der Tür. Essen, spielen mit Gebetsketten, trinken Tee. Also so ein typisches Männercafé? „Nein, nein, für alle, für alle, herzlich willkommen“, sagt Muammer Cekmen. Eine Einladung zum in die Töpfe-Gucken. Denn im „Demirel’in Yeri“ stellen sich die Gäste das Menü in der Küche selbst zusammen. Per Fingerzeig.

Unsere Touren finden Sie übrigens auch im Internet – samt Karten, Reportagen und Tipps. Schauen Sie rein unter www.tagesspiegel.de/stadtspaziergang .

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