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Winter: Dachlawinen und Eiszapfen

Obwohl viele Berliner Bürgersteige seit dem ersten Schneefall kaum geräumt wurden und es häufig sehr glatt ist, wurden bisher weniger Stürze als im Vorjahr verzeichnet. Dafür drohen jetzt ganz andere Gefahren: Jeden Tag gibt es über 500 Schnee- und Eiseinsätze der Feuerwehr.

Von Sandra Dassler

„Deutschland, das Land der Ideen“ steht auf einem Werbeplakat in der Zentrale der Bahn am Potsdamer Platz. Auf die Idee, wie die extreme Rutschgefahr dort und im restlichen Sony-Center verhindert werden könne, ist aber noch keiner gekommen. Die Damen am Empfang zucken nur mit den schmalen Schultern: „Das geht uns nichts an, das Sony-Center ist der Vermieter“, sagt die ältere.

Im Management des Sony-Centers kennt man das Problem: Die Edelstahlplatten verwandeln sich bei Regen oder Schnee in teuflisch-glitschige Rutschbahnen, Fußgänger gehen dort seit Tagen wie auf Eiern. Zwar warnen Schilder, aber nicht jeder sieht sie. Und im Dunkeln ist der Unterschied zwischen Platten und Schnee kaum zu erkennen.

Die Verantwortlichen bemühen sich um Schadensbegrenzung, täglich wird neu gestreut, aber solange es schneit, taut oder friert, wird man der Situation wohl nicht Herr. „Das ist hier richtig lebensgefährlich“, sagt der Pächter einer Getränkebude: „Ich beobachte ja, wie die Leute ins Rutschen kommen – wahrlich, eine architektonische Meisterleistung.“

Auch anderswo in der Stadt ist es sehr glatt, weil viele Stellen seit Beginn des Schneefalls vor vier Wochen nicht geräumt wurden. Beispielsweise die Treppe, die von der Köthener Straße zum Tilla-Durieux-Park am Potsdamer Platz führt. Kaum einer, der nicht ins Rutschen kommt. Viele landeten dort schon auf dem Hosenboden und bereuten zutiefst, die Reste eines rot-weißen Absperrbandes ignoriert zu haben. Wer für die Situation verantwortlich ist, ließ sich am Mittwoch nicht klären. Das Ordnungsamt von Friedrichshain-Kreuzberg erklärte, die Treppe gehöre zu Mitte. Dort war sie aber nicht bekannt. Es habe jedenfalls keine Beschwerden beim Ordnungsamt gegeben, sagte eine Mitarbeiterin der Pressestelle.

Generell registrieren Rettungsstellen und Feuerwehr aber weniger Einsätze wegen gestürzter Fußgänger als im vergangenen Jahr. Möglicherweise seien viele ältere Menschen besser als damals auf die widrigen Umstände eingestellt, trügen Spikes oder blieben zu Hause, vermutet Feuerwehrsprecher Klaus-Dieter Weiß. Genaue Zahlen über Glatteisopfer kann er nicht nennen, aber von „einer Häufung der Personenschäden“ könne man derzeit nicht sprechen. Momentan liegt der Schwerpunkt der Feuerwehreinsätze auf der Beseitigung drohender Dachlawinen und herabfallender Eiszapfen, sagt Weiß. Bereits bis Mittwochmittag waren 300 entsprechende Meldungen eingegangen. Wie am Vortag, wo es 550 Schnee- und Eiseinsätze gegeben hatte, wurde der Ausnahmezustand ausgerufen – gestern waren es 531 Einsätze wegen Eiszapfen und Schneebrettern. Seit Tagen sind alle 35 Drehleiterfahrzeuge unterwegs.

„Manchmal können Hauseigentümer oder Mieter selbst die Eiszapfen entfernen“, sagt Weiß. Das verschaffe der Feuerwehr etwas Luft, immerhin liegt der Schnee an der Messstation in Dahlem diesen Monat mit 43 Zentimetern so hoch wie noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Bisher gab es noch keine Verletzten durch Dachlawinen, die Gefahr könne aber – so warnen Experten – in zwei Tagen akut werden, wenn es wärmer werde und der Schnee schmelze.

Berlins Ordnungsämter werden dann Tausende Bußgeldverfahren wegen nicht geräumter Gehwege eingeleitet haben. Allein in Friedrichshain und Kreuzberg waren bis Mittwoch knapp 300 Anzeigen eingegangen, wie der Leiter des Ordnungsamts, Joachim Wenz, sagte. Zunehmend Ärger bereiten den Ordnungskräften und der Polizei jene Autofahrer, die mangels geräumter Parkplätze ihre Autos halb oder manchmal sogar ganz auf der Fahrbahn abstellen. „Manchmal wünschte man sich schon etwas mehr Eigeninitiative“, sagt Feuerwehrsprecher Weiß. Zumindest in den Nebenstraßen, wo man den Verkehr nicht behindere, könnten Autofahrer auch mal selbst zur Schaufel greifen.

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