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© Thilo Rückeis

Winterchaos: Justiz setzt Häftlinge zum Eisklopfen ein

Politiker wollen das Gesetz ändern, um extreme Glätte künftig zu verhindern: Gehwege sollen bis auf die Platte geputzt werden. Außerdem wird über eine "Glätte-Hotline" nach dem Vorbild Hamburgs nachgedacht.

Die extreme Eisglätte in Berlin hat ungeahnte Konsequenzen: Häftlinge rücken mit der Hacke an, und prominente Plätze werden zum Sperrgebiet. Mitarbeiter des Ordnungsamts schlossen am Dienstagabend die Fläche vor dem Forum Steglitz bis auf Weiteres für den Fußgängerverkehr. „Der Platz hat sich zu einem Eishockeyfeld entwickelt, Streugut half da nicht mehr weiter“, sagt Thomas Mertens, Außendienstleiter beim Ordnungsamt Steglitz-Zehlendorf. Die rund 1000 Quadratmeter seien „gänzlich vereist. Wir warten, bis es taut.“

In der Politik wächst die Erkenntnis, dass sich derartige Zustände nicht wiederholen sollen. Politiker von SPD und Linken wollen das Straßenreinigungsgesetz so ändern, dass Glätte auf Gehwegen nicht mehr nur „bekämpft“, sondern „beseitigt“ werden muss. Das bedeutet: Eis hacken bis auf die Platte. Nach dem Willen des SPD-Umweltpolitikers Daniel Buchholz soll außerdem „die Verantwortung für die Haltestellen wieder unmissverständlich bei der BSR liegen“. Bisher sind die Grundstückseigentümer für Haltestellen vor ihrer Tür verantwortlich – sofern dahinter kein Radweg verläuft.

Das Glätteproblem betrifft private und öffentliche Anlieger gleichermaßen. So hatte auch Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) die Glätte vor ihrem Verwaltungssitz an der Salzburger Straße so satt, dass sie Freigänger aus den Gefängnissen Plötzensee und Hakenfelde das Eis weghacken ließ. Rund zehn Häftlinge taten also freiwillig, was der private Winterdienst nicht geschafft hatte – und verdienten sich so nach Auskunft der Justizverwaltung zehn bis 15 Euro pro Tag dazu.

Das betroffene Gebäude wird von der landeseigenen Immobiliengesellschaft BIM verwaltet, die angesichts mehrerer Beschwerden jetzt eine Arbeitsgruppe gebildet hat, wie BIM-Sprecherin Katja Potzies sagt. Zum einen würden Zahlungskürzungen an die offenkundig überforderten Winterdienste geprüft, zum anderen versuche man, zusätzliches Personal zu rekrutieren. Und nach dem Winter sei eine Grundsatzdiskussion über den künftigen Umgang mit dem Thema fällig. Die Umweltverwaltung plant eine ähnliche Runde mit Ämtern, Verbänden und BSR.

CDU-Chef Frank Henkel fordert ein Sofortprogramm, „etwa durch kostenloses Streugut auf den BSR-Recyclinghöfen, eine zentrale Hotline und ausreichend Bezirksmittel für kostenpflichtige Ersatzvornahmen“. Er verweist auf das Beispiel von Hamburg. Dort werden zusätzliche Mitarbeiter von Partnerunternehmen der Stadt sowie von Wasserbetrieben und Friedhofsverwaltung rekrutiert. Zudem ist seit Dienstag eine Glätte-Hotline geschaltet, die am Premierentag allerdings nicht einmal jeden fünften der knapp 19 000 Anrufe bewältigen konnte. „Ein Renner“ sind dagegen nach Auskunft der Hamburger Umweltbehörde die gratis bereitgestellten Streusplittbehälter auf den Höfen der Stadtreinigung.

„Warum soll man Streugut auf Kosten der Steuerzahler verschenken?“, fragt dagegen BSR-Sprecherin Sabine Thümler. Auch SPD-Mann Buchholz sieht dazu keinen Grund, solange es in den Baumärkten genug Sand und Granulat gebe. Vielfach ausverkauft ist lediglich das Streusalz – aber das darf ohnehin nur von der BSR eingesetzt werden und würde die dicken Eiskrusten auf den Gehwegen ohnehin kaum auftauen. Auch eine Hotline ist aus Sicht der BSR nicht notwendig: Bürgertelefone gebe es sowohl im eigenen Unternehmen als auch bei Bezirksämtern und Polizei.

In Hamburg bezogen sich 70 Prozent der Anrufe auf Grundstücke in der Zuständigkeit privater Anlieger. In Berlin betrifft die Eisglätte ebenfalls alle Arten von Flächen. So sind im Bezirk Steglitz-Zehlendorf bisher 1016 Eisanzeigen eingegangen, von denen sich etliche auch auf Wege vor öffentlichen Gebäuden wie Schulen beziehen. Wenn die privaten Winterdienste, die für Bezirke und Privatleute tätig werden sollen, nicht hinterherkommen, springt teilweise die BSR ein – bisher schon mehr als 400 Mal. In Pankow habe das Ordnungsamt erst Druck machen müssen, um ein Bezirksamts-Gebäude eisfrei zu bekommen. „Wir hatten hier schon massive Beschimpfungen von Bürgern, die sich beschwert haben, dass wir auf unserem eigenen Gelände nicht Ordnung schaffen“, sagt Stadtrat Jens- Holger Kirchner (Grüne). In Pankow denke man über eine Kündigung der Winterdienstfirma nach.

In Tempelhof-Schöneberg läuft der Vertrag mit dem privaten Streudienst noch bis zum Ende der Winterperiode. „Wir haben schon erhebliche Mängelrügen erteilt“, sagt Stadtrat Bernd Krömer (CDU). Konkrete Zahlen über Vertragsstrafen wollte er allerdings nicht nennen. Die BSR dürfte in den nächsten Tagen wieder alle Kapazitäten für ihre eigentlichen Aufgaben brauchen: Von Donnerstag Abend an soll es wieder schneien; Tauwetter ist nicht in Sicht. Also fährt die BSR zunächst wieder ihr Standardprogramm auf Hauptverkehrsstraßen und solchen mit BVG-Busverkehr. Immerhin sind in den vergangenen Tagen weitere Salzlieferungen eingetroffen, so dass zumindest die großen Straßen vorerst weiter gut befahrbar bleiben dürften.

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