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Darkroom für Fortgeschrittene. Berlins Nachtleben dominiert "Like Berlin".

© Promo

Wintergarten-Premiere "Like Berlin": Bis die Mauer wackelt

Das Ziel der neuen Markus-Pabst-Show: Nichts weniger als die Suche nach der Seele Berlins. Und die flackert vor allem da auf, wo es die Show nicht darauf anlegt.

Ampelmännchen auf Kaffeetassen, Fernsehturm-Kerzen, bekleckste „Mauer“-Betonbrocken – es ist schon erstaunlich, wie gut sich mit dem anhaltenden Berlin-Hype Geld verdienen lässt. Warum also nicht ein Showprogramm, dachte man sich da wahrscheinlich im Wintergarten an der Potsdamer Straße. Und es stimmt ja auch: Welche Stadt würde sich besser als Grundlage einer Varieté-Aufführung eignen? Der Alltag ist ja schon voller Clownsnummern, Schocker, Kunststückchen, Träumereien und Blickfänger.

Markus Pabst, in dessen „Wintergarten“- und „Chamäleon“-Inszenierungen ohnehin sehr viel modernes Berlin steckt, hat die Aufgabe übernommen und am Donnerstagabend erstmals „Like Berlin“ auf die Bühne gebracht. Die Show ist inspiriert von einer Guerillakampagne, die im vergangenen Jahr Berlin mit weißen, B-förmigen Plakaten überzog, darauf Fragen wie „Ab wann bist du Berliner?“ und etwas Platz für freie Assoziationen der Passanten. Aus den beschrifteten Plakaten und einer Online-Umfrage entstand eine Ausstellung und ein Buch. Und nun eben auch eine Show, die nichts weniger sein will, als eine Suche nach der Seele dieser Stadt – na klar, Kleinstapeln ist des Berliners Sache nicht.

Erbarmungslose Tristesse - auch das ist Berlin

Wild beginnt der Abend mit einer Armee von Berlin-Figuren, die Pabst hintereinander über die Bühne hopsen lässt: Partygirl, Straßenfeger, Wutbürger, Ratte, lustigerweise auch die ewige Blue Man Group. Das „B“ aus der Kampagne taucht als übergroßes Kletterelement und Projektionsfläche auf, im rasanten Tempo werden Schriftzüge aus der Kampagne gezeigt. „Was sind Berlins drei Grundwerte?“ – „Sterni, Burger, Kotti.“ Aus den Boxen schallen dazu Berlin-Lieder aus der Konserve: Seeed, Rosenstolz, Scorpions mit „Wind of Change“ und ein furchtbarer Bowie-Bumbum-Remix. So hat er „Heroes“ bestimmt nicht gemeint. Das anfängliche Feuerwerk aus Bildern, Klischees und Sounds kommt wie eine fettige Currywurst daher – das muss man erst einmal verdauen.

Gut, dass es dann auch noch diese Momente gibt, in denen die Sängerin Ena Wild mit viel feinem Soul in der Stimme auftritt, unterstützt durch einen Schlagzeuger und Co-Regisseur Pierre Caesar am erhöhten DJ-Pult. In einer Szene tanzt dazu Vinzenz Wagner – ohne Deko-Firlefanz, berührend, kraftvoll, melancholisch – und transportiert ein Berlin-Gefühl, ohne plakativ zu werden: Die Tristesse, die hinter der Freizeitparkkulisse lauert, dann und wann erbarmungslos zuschlägt und und ihre Opfer zerfrisst. Auch das ist Berlin.

Spaß haben, bis die Mauer wackelt

In vielen anderen Nummern kann man hinter dem klassischen Varietéprogramm noch viel mehr Berlin entdecken, da bietet so eine Revue ohne Handlung ja viel Raum für Interpretation: Jongleure und Diabolo-Spieler finden ihr Publikum nicht nur im Wintergarten, sondern bei halbwegs gutem Wetter an jeder größeren Kreuzung. Studentische Selbstdarsteller vollführen im Grimm-Zentrum täglich Balance-Akte zwischen Büchertürmen. Und Revue-Clown Girma Tsehai, der in „Like Berlin“ nackt mit Hüten jongliert, wäre der Knaller auf jeder schnapsseligen Privatparty.

Eine Prise Geschichte hat Markus Pabst selbstverständlich auch eingestreut – als kleiner Gruß an seine 2010 gestartete Wintergarten-Show „Made in Berlin“: Da ist das extravagante, flippige Berlin der 20er Jahre und natürlich die Ostalgie: Eine – ja, wirklich – Grenzerin und ihr Kollege haben im Dienst dermaßen viel Spaß, dass die Mauer wackelt. Das ist fast schmerzhaft klamaukig. Puhdys-Keyboarder Peter Meyer verzieht dazu am Premierenabend keine Miene.

Auf der Bühne tobt das Leben, unten sitzt die Ü-70-Szene

Überhaupt ist ein Blick ins Publikum, auf die Wintergarten-Zielgruppe, ziemlich erhellend. Während auf der Bühne das junge Berlin der Clubgänger dominiert, sitzt unten an den Tischen vor allem die Ü-70-Szene: Berlins „ältester Hipster“ Günther Krabbenhöft, an seiner Seite (und streng genommen gerade so U-70) Britt Kanja, die Ende der 80er Jahre das legendäre, aber längst abgerissene „90 Grad“ mitgründete. Ganz vorne sitzt Techno-Opa „Komet Bernhard“ als Ehrengast, er war auch Teil der „Like Berlin“-Kampagne.

Vor Showbeginn springt er mit seiner Seifenblasen-Bong vor dem Eingang herum, quatscht jeden nett an und blubbert ein bisschen für die Kameras. Zwanzig Meter weiter warten zwei Frauen an der Potsdamer Straße auf Kundschaft und schauen gelangweilt herüber. Hier fängt „Like Berlin“ eigentlich schon an, so nebenbei und ohne den Premieren-Overkill: Der eigens im Foyer aufgebaute Fotoautomat, die Kondome mit „Fuck like Berlin“-Aufdruck, Getränke der wiederbelebten Mampe-Marke.

Was wäre eine Berlin-Show ohne Patzer?

Die kulturelle Vielfalt Berlins streift die Show leider nur am Rande. Eine Muslima im Niqab, die zunächst stocksteif und streng auf der Bühne steht und sich dann zu Tarkans „Sikidim“ in eine Trachten-Bayerin verwandelt – irgendwie hatte man sich da ein bisschen mehr erhofft.

Ein wenig müsste wohl auch bei der Performance der Artisten nachgearbeitet werden. Mal fliegt ein Hula-Hoop-Reifen versehentlich in die erste Reihe, mal landet der Diabolo nicht da, wo er soll. Obwohl: Vielleicht gehört das ja zum Konzept. Denn eine Berlin-Show ganz ohne Patzer und Fehler – wo bliebe da Berlin?
„Like Berlin“ läuft bis zum 11. Juni. Karten und weitere Information unter www.wintergarten-berlin.de

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