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Winterliche Sprachschöpfung: Es schnieselt

Die morgendliche Wetterlage war wieder mal diffus. Einer jener Tage, wie wir sie jetzt so oft haben, wo man denkt, Petrus dürfe sich ruhig mal zwischen April und Januar entscheiden.

Die Moderatorin im Inforadio studierte wohl die Prognose. Zögerte hörbar, meinte, es würde schneien, vielleicht auch regnen, man wisse es halt nicht. Und sagte entschlossen: „Es schnieselt.“ Schnieselt? Nie gehört. Vorstellen kann man sich was darunter. Schneien, nieseln, grieseln. Eben schnieseln. Würde es ein einmaliges Gastspiel sein, das dieses Wort gegeben hatte, fragte sich der Hörer, eine erfrischende, kleine sprachliche Ungenauigkeit? Würden die Sprachpolizisten des RBB die Kollegin ermahnen, sie solle keine Worte erfinden? Es kam anders, denn am nächsten Morgen schloss die Moderatorin wieder, und diesmal überhaupt nicht mehr zögernd, sondern ganz selbstverständlich den Wetterbericht mit dem kurzen knappen Satz ab: „Es wird schnieseln“.

Hatte ein neues Verb die Sprachbühne betreten? Grimms Großes Wörterbuch, online konsultiert, hatte von „schnieseln“ noch nie gehört. Dem Duden freilich war so etwas schon 2009 als „Szenesprache“ untergekommen. Der linke Liedermacher Dieter Süverkrüp dichtete 1969:

„Leise schnieselt der Re-Aktionär seinen Tee“

Aber der meinte mit „schnieseln“ wohl etwas anderes. Aus welcher Szene die Inforadio-Moderatorin auch immer kommt, freuen wir uns einfach über den sprachlichen Neuzugang. Das Wetter ist ja so, dass man das hübsche Verb bald wieder aus der Vokabelkiste herausholen kann. Ab sofort singen wir dann „Leise schnieselt der Schnee“.

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