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Berlin: Wir auch! Ich bin zwei Marathons

Die Inline-Skater sind am Sonnabend, die Läufer am Sonntag unterwegs – das freut Athleten und Gastronomen. Doch es gibt auch Kritik

VON TAG ZU TAG

Bernd Matthies bittet

die Marathonisten um Mäßigung

Sie sehen ja: Jetzt brauchen wir schon zwei Karten. Die Inline-Skater haben sich emanzipiert von den schnöden Fußläufern, haben den bislang weitgehend marathonfreien Sonnabend für sich erobert - und einen weiteren Tag geschaffen, an dem nichts mehr geht in der Innenstadt.

Ach, keine Kritik. Was auch immer Touristen und ihr Geld in die Stadt lockt, hat derzeit ja praktisch Verfassungsrang und darf auf keinen Fall in seiner Würde angetastet werden. Aber in der Zweiteilung des Marathons liegt eine Art Präzedenzfall versteckt. Denn zweifellos weckt sie die Begehrlichkeit der Macher der Love Parade. Wie denn, werden sie sagen, die laufen zwei Tage und wir nur einen? Wir haben doch auch massenhaft Skater! Auch der Christopher Street Day könnte leicht zu zwei Days erweitert werden, beispielsweise, um damit den Interessen von Lesben und Schwulen...

Wie wäre es mit einem Kompromiss? Zur allgemeinen Erleichterung fällt das Fest zum 3. Oktober in diesem Jahr aus. Der Raum, der deshalb also nicht für Chinapfannen, Bratwurstgrills und Bierschwemmen gebraucht wird, könnte leicht Zehntausende von Läufern aufnehmen. Und was könnte es Symbolhafteres geben als einen Einheitsmarathon? Aber bitte nur an einem Tag, ja?

Ganz Berlin im Siegestaumel: Am heutigen Shopping-Sonnabend startet der 30. Berlin-Marathon – mit fast 10 000 Skatern , über 35 000 Läufern und einer Million Zuschauer die größte Laufveranstaltung der Welt. Dass der Marathon erstmalig an zwei Tagen läuft, freut Hotelbetreiber, Gastronomen und Taxifahrer. Wenn die Zuschauereuphorie tatsächlich zwei Großereignisse trägt, will die Senatssportverwaltung den Zwei-Tage-Marathon in der Stadt etablieren. Dann wollen auch Paris und Hamburg dem Berliner Beispiel folgen. Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) unterstützt die Ausdehnung des Marathons. Nicht aber der Berliner Einzelhandel. „Das wäre ein Affront“, sagt Geschäftsführer Nils Busch-Petersen.

„Von uns aus kann der Marathon gern an zwei Tagen stattfinden“, sagt Wolfgang Wruck, Chef der Taxigewerbe-Innung: „Das Geschäft läuft“. Der Marathon helfe der gesamten Berliner Wirtschaft auf die Beine, meint Veranstalter und SCC-Geschäftsführer Horst Milde: Einer Studie zufolge hat der Lauf zwischen 1974 und 2003 rund 246 Millionen Euro Einnahmen gebracht. Doch jetzt befürchten viele Händler trotz Verkaufs bis 20 Uhr erstmals Einbußen, weil die Skater bereits am Sonnabend starten – Milde zufolge nehmen inzwischen einfach zu viele Sportler teil, als dass man sie alle an einem Tag starten lassen könnte. „Wenn die Leute jetzt aber hören, dass die City dicht ist, fährt keiner mehr hin“, sagt Nils Busch-Petersen. Auch Gregor Eßer, Geschäftsführer von Karstadt Sport in Charlottenburg, fürchtet um Laufkundschaft. Vergangenes Jahr verkaufte sein Haus am Marathon-Sonnabend 50 Prozent mehr Sportartikel als sonst. Werner Schmitt von „King’s Tea Garden“ am Kurfürstendamm klagt indes, der Marathon bringe zu wenige kaufkräftige Kundschaft in die West-City. „Statt zu shoppen, zertrümmern mir Schaulustige die Vitrinen.“ Von einer Ladenöffnung am Marathon-Sonntag, wie sie der Wirtschaftssenator vorgeschlagen hat, hält die Berliner Händlerschaft aber nichts. Busch-Petersen: „Die Leute wollen zugucken, nicht kaufen.“ Generell stehe man aber hinter dem Marathon – das zeige sich schon am Hauptsponsor „Real“. Marathon-Chef Horst Milde ärgert sich über die Kritik. „Wir haben den langen Sonnabend erst möglich gemacht.“ Der Lauf führe zudem am Sonnabend nicht über die Shoppingmeilen Kurfürstendamm, Schloßstraße und den Hermannplatz. Milde: „Viele Gastronomen haben uns gegenüber schon bedauert, dass sie nicht mehr an der Strecke liegen.“ Karstadt am Hermannplatz lädt Sonntag sogar 1500 Promi-Gäste zum Weinfest – und zum Anfeuern – auf die Dachterrasse.

Insgesamt sind rund 100 000 Gäste in der Stadt, die Herbergen nach Auskunft des Hotel- und Gaststättenverbandes sehr gut gebucht. Der Adidas-Konzern hat gleich zwei Flugzeuge gechartert, fliegt Dutzende Reporter aus Österreich ein. Und im Adlon residieren Kempinski-Chefs, die am Sonntag selbst die Laufschuhe anziehen.

Annette Kögel

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