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Berlin: „Wir brauchen Leute, die Geld mitbringen“

Tagesspiegel-Treffpunkt zur Frage: Bundeshauptstadt Berlin – Wer soll das bezahlen ?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Wir sind überall ständig pleite!“ John C. Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, sprach von amerikanischen Städten und Einrichtungen, die sich an den Zustand chronischen Geldmangels längst gewöhnt hätten. Deshalb glaubt Kornblum auch nicht, dass die Finanznotlage Berlins im Ausland für ein schlechtes Image sorgt. Aber: der Stadt fehlten bedeutende Investoren. Auch weil es keinen leistungsfähigen Flughafen gebe. „General Electric war drauf und dran, nach Berlin zu kommen.“ Als der Konzern doch anders entschied, habe sich in Berlin niemand so richtig aufgeregt.

Die Stimmung beim „Treffpunkt Tagesspiegel“, der am Montagabend im Interconti der Frage nachging: „Bundeshauptstadt Berlin – Wer soll das bezahlen?“, schwankte zwischen Depression und Hoffnung. Druck aufbauen und Entscheidungen erzwingen. Das ist die Methode von Thilo Sarrazin. Aber selbst den kämpferischen Finanzsenator beschleichen ab und zu leise Selbstzweifel. „Was ich tatsächlich durchsetzen werde, ist offen.“ In Berlin herrsche keine Lehnstuhlmentalität, aber ohne Hilfe des Bundes beim Abbau des Schuldenbergs gehe es nicht. Und wie stehen die Aussichten auf Hilfe? „Das baut sich ein in die finanzielle Gesamtlage des Bundes.“ Gelächter im Saal.

Und längst nicht alle halten die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, um Sanierungszuschüsse von Bund und Ländern zu erzwingen, für eine gute Sache. Viel wichtiger sei ein politisches Management, dass die finanziellen und bürokratischen Strukturen der Hauptstadt verändere, meinte Heiko Bensch, der die Kommunikationsabteilung der Projektplanungsgesellschaft „Triad Berlin“ leitet. Er plädierte dafür, einen Hauptstadtentwicklungsplan aufzustellen.

Auch der Finanzwissenschaftler Markus Kerber lehnte die vom Senat beschlossene Verfassungsklage ab. „Weil damit die Schulden Berlins nur auf andere abgewälzt werden.“ Die Stadt habe außerdem kein Einnahmeproblem. Kerber möchte die Hauptstadt gern für eine Weile unter Kuratel stellen und dem Regierenden Bürgermeister – per Direktwahl – mehr Macht verleihen. Er hält die Außenwirkung der Berliner Finanznotlage, anders als Kornblum, für katastrophal. „Die Banken fangen an, sich über den Extremfall Gedanken zu machen.“ Extremfall heißt: Zahlungsunfähigkeit. Dann könnte der Bund, freute sich Kerber, einen Treuhänder entsenden, der für Ordnung sorgt. „Eine harte Managementlösung ist notwendig, um die Bonität Berlins wieder herzustellen.“

Ungewöhnliche Situationen provozieren und beflügeln den Geist. So trug Kai Konrad, Direktor beim Wissenschaftszentrum Berlin und Fachmann für Sozialpolitik, erneut seine Lieblingsidee vor. Berlins Bevölkerung müsse kräftig wachsen, denn jeder neue Einwohner bringe – über den Länderfinanzausgleich – 4500 Euro in die Stadt. Das müssten aber Neu-Berliner sein, die nicht mehr kosten als sie einbringen. „Wir brauchen eine selektive Einwanderungswerbung.“ Ansonsten findet Konrad die Verfassungsklage Berlins gut. Aber nur deshalb, weil die Sanierungsbemühungen für die Hauptstadt „zeigen werden, dass diese Form der Ausfallbürgschaft auf Dauer nicht haltbar ist.“ Deutschland müsse endlich wegkommen vom „Fiskal-Föderalismus“.

Kornblums Ansatz ist ein anderer. Er schlug am Montag einen „Haupstadt-Konvent“ vor. Alle Parteien müssten überlegen, wie Berlin wirksam unterstützt werden könnte. Die schwierige Lage der Stadt sei kein regionales, sondern ein nationales Problem. Fehlt den Deutschen etwa das Gefühl für ihre Hauptstadt?, fragte der stellvertretende Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt. Ja, antwortete Kornblum – ohne zu zögern. Er hat immer Washington D.C. vor Augen; nicht nur, weil er dort ein Haus hat. „Das könnte eine Lösung für Berlin sein. Washington ist befreit von allen bundesstaatlichen Aufgaben, einschließlich der Sozialhilfe.“ Das entlaste die amerikanische Hauptstadt jährlich um mehrere hundert Millionen Dollar.

Weitgehend unbeeindruckt von den vielen gut gemeinten Vorschlägen trug Finanzsenator Sarrazin dem Auditorium seine Alltagsprobleme vor. „In Berlin leben zu viele Menschen, die viel Geld kosten und zu wenige, die Geld bringen.“ Von der Beschimpfung der Berliner Poliker als besonders unfähig hält er nichts. Er komme von außen, er könne das vergleichen. „Die Politiker in Berlin sind ganz normal; sie haben sich nur nicht so schnell weiterentwickelt wie die Rahmenbedingungen, mit denen sie fertig werden müssen.“ Was Sarrazin aber vermisst, sind neue, qualifizierte Führungskräfte für die Berliner Verwaltung. Solches Personal zu gewinnen, sei ein Problem. Der Öffentliche Dienst sei nach wie vor überbesetzt. Wer dort eine Stelle habe, bleibe 30 Jahre. „Wir haben das untersucht.“

Alle Fotos: Thilo Rückeis

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