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Berlin: „Wir haben heute die Chance, einfacher zu leben“

Franziskaner-Pater Stephan Ottenbreit über deutsche Miesepetrigkeit und die Sehnsucht der Jugend nach Gemeinschaft

Der KonsumklimaIndex in Deutschland sinkt. Für Wirtschaft und Politik ist das eine schlechte Nachricht. Und für Sie?

Die Wirtschaft hat ihre eigenen Gesetze. Aber man kann das auch als gute Nachricht lesen. Wir haben vielleicht heute die Chance, einen anderen, einfacheren Lebensstil zu leben. Eine Verringerung des Wohlstands könnte die Deutschen dazu bringen, darüber nachzudenken.

Was ist reizvoll am einfachen Leben?

Man merkt, dass man mit viel weniger auskommt, als man denkt. Man lernt die Dinge, die schon da sind, besser schätzen. Mir fehlt nichts. Das bringt eine enorme Lockerheit mit sich. Man steht nicht ständig unter dem Druck, der durch die Sehnsucht nach noch mehr entsteht. Man jammert nicht immer.

Arm und fröhlich, wie Franziskus, statt reich und miesepetrig wie die Deutschen ?

Die Miesepetrigkeit kommt, wenn man nicht alles kriegt, was einem die Werbung vorgaukelt. Ich habe 40 Jahre in Brasilien gelebt. Da nehmen die Menschen alles viel leichter. Selbst inmitten der größten Probleme sind die Leute noch fähig zu feiern und zu tanzen.

Man könnte ihnen das vorwerfen.

Sagen wir mal so: Der Brasilianer geht aus dem Haus, um unterwegs zu sein. Der Deutsche geht aus dem Haus, weil er irgendwo hinmuss. Die deutsche Art zu planen, hat etwas sehr Positives. Aber wenn der Plan nicht aufgeht, ist man verloren. Gerade Jugendliche sind sehr offen für alternative Ansätze. Die müssen nicht unbedingt konsumieren.

Die vielen Jugendlichen auf dem Petersplatz, der Run auf den Weltjugendtag. Sind das Zeichen eines religiösen Aufbruchs?

Es zeigt zumindest, dass die Jugendlichen auf der Suche sind. Wenn man Werte auf eine materielle Basis stellt, die zerfließen kann, kommt irgendwann die Sehnsucht nach etwas anderem. So bringt es der Lebensstil mit sich, dass die Menschen heute viel mehr Suchende sind als in der Vergangenheit.

Wonach suchen die Jugendlichen?

Sie suchen auch nach Gemeinschaft. In Deutschland ist der Zusammenhang in den Familien verloren gegangen. Früher lebten die Großeltern mit im Haus, man hatte eine ganz andere Verbindung zu ihnen. Papst Johannes Paul II. war da auch so eine Art Großvaterersatz für sie. Da ist einer, der steht an unserer Seite, auch wenn sie seine Gebote nicht befolgten. Das wird der neue Papst Benedikt XVI. wohl nicht hinkriegen.

Ist der Rückgang des Wohlstands eine Chance für die Kirchen, für Religion?

Ja, die Kirchen müssen die Menschen jetzt ansprechen. Der Weltjugendtag in Köln kann ein Ansatzpunkt sein. Wir werden rund um die Uhr in einem franziskanischen Zentrum für Jugendliche da sein. Aber von einer solchen Massenveranstaltung darf man sich nicht zu viel erhoffen. Da wird es nicht zu Massen-Veränderungen kommen. Man muss nacharbeiten.

Welche Art Nacharbeit?

Man kann die Leute heute nicht mehr mit Predigten überzeugen, sondern muss ihnen Glauben, Überzeugungen vorleben. Aber hier zu Lande sind die Priester Beamte, die Pfarreien verwalten. Leute trauen sich gar nicht, ihnen eine Frage zu stellen, weil sie denken, der arme Mann ist so überbeschäftigt. Das ist schlecht.

Es braucht also Laien?

Auf jeden Fall. Und die Laien müssen auch das Evangelium verkünden dürfen. Dass alles auf den Priester konzentriert ist, ist ein riesiges Problem in der katholischen Kirche. Ämter müssen in der Gemeinschaft wahrgenommen werden.

Wird die Kirche dieses Problem mit dem neuen Papst lösen?

Nein. Das Gespräch führten Ariane Bemmer und Claudia Keller.

Pater Stephan Ottenbreit (62) leitet die Missionszentrale des Franziskaner-Ordens in Bonn. Er wirkte 40 Jahre lang für den Orden in Brasilien. Seit zwei Jahren ist er wieder in Deutschland.

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