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Berlin: „Wir haben keine Hinweise auf eine Bedrohung in Berlin“

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) über seine Erlebnisse am 11. September und warum er überzeugt ist, dass die Stadt sicher genug ist

Wie haben Sie erfahren, was in New York am 11. September geschah?

Ic h saß am Schreibtisch, als plötzlich meine Sekretärin hereinstürzte und sagte: Da ist ein schreckliches Unglück in den USA passiert. Wir haben den Fernseher angestellt und den brennenden Tower gesehen. Als das zweite Flugzeug in den anderen Turm flog, wurde mir bewusst, dass dies kein Unfall war, sondern eine gezielte Aktion.

Welche Gefühle überkamen Sie, als Sie vor dem Fernseher saßen?

Mir ging es so wie den meisten Menschen. Es waren Bilder wie aus einem unwirklichen Film und es dauerte eine Weile, dies als schreckliche Realität zu begreifen.

Dann klingelten die Telefone…

…dann kamen die Meldungen aus der Lagezentrale herein. Und meine erste Sorge war: Handelte es sich um einen isolierten Anschlag oder um Terrorattacken an mehreren Stellen gleichzeitig in der Welt? Trifft es auch Paris oder London oder Berlin?

Hatten Sie Angst?

Keine Angst um die eigene Person. Aber die Befürchtung, dass auch Berlin betroffen werden könnte, war da. Als weitere Nachrichten kamen – Absturz eines Flugzeuges aufs Pentagon, Anflug auf den Sommersitz des US-Präsidenten oder aufs Capitol – erschien das Risiko hoch, dass die Terroristen auch andere Symbole der westlichen Welt ins Visier nehmen könnten.

Was ging Ihnen durch den Kopf? Haben Sie gleich an einen Angriff auf die westliche Welt gedacht, wie es später die Präsidentenberaterin Condoleezza Rice nannte?

Ich habe im ersten Moment an den Nahost-Konflikt gedacht. Später wurde immer gesagt, dies sei ein Angriff auf die gesamte westliche Welt gewesen. Aber es war doch vor allem ein ganz spezifischer Terrorakt gegen die Amerikaner. Die islamistischen Terroristen hassen auch Berlin und Paris, aber viel mehr noch Washington und New York. Wir sind in deren Augen böse, aber nach der perversen Logik der Täter nicht so böse wie die Amerikaner.

War Ihnen Osama bin Laden ein Begriff?

Vor meiner Tätigkeit als Innensenator war mir der n nicht sofort präsent. Später tauchte er – damals aber nur am Rande – in einer Verfassungsschutzakte auf.

Was haben Sie eigentlich als erstes getan?

Informationen gesammelt. Dann die Sicherung bestimmter öffentlicher Gebäude angeordnet. Ich habe sehr viel telefoniert.

Nur mit dem Verfassungsschutz und der Polizei, oder auch mit der eigenen Familie?

Ich habe meine Frau angerufen und sie gebeten, darauf zu achten, dass die Kinder möglichst wenig fernsehen. Sie sollten die Bilder vom brennenden World Trade Center nicht unvorbereitet sehen. Was natürlich eine vergebliche Liebesmühe war: Alle drei Kinder waren mit Freunden unterwegs und wurden schon mit Informationen überschüttet.

Was wussten die Berliner Sicherheitsbehörden an diesem Tag? Waren die ratlos?

Ic h habe nach einer halben Stunde vom Verfassungsschutz erste Informationen über das Terrornetzwerk Al-Qaida bekommen. Das waren keine Erkenntnisse, die auf Aktivitäten in Berlin hindeuteten. Das half, die Sicherheitslage in der Stadt schnell einzuschätzen. Wir mussten nicht hilflos am Schreibtisch sitzen, sondern konnten über legen, welches Räderwerk in Gang zu setzen ist.

Waren Sie froh, etwas tun zu können?

Darüber habe ich an dem Nachmittag nicht nachgedacht. Ich war mir nur bewusst, dass New York zwar weit weg ist, der Terrorakt aber dauerhafte Konsequenzen auf das Sicherheitskonzept für Berlin haben wird. Abends war ich mir dann sicher, dass es in Berlin keinen Anschlag dieser Art geben wird. Diese Möglichkeit schien mir damals für den Moment verbraucht, als sämtliche Flughäfen dieser Welt ihre Sicherheitsmaßnahmen noch am gleichen Tag verschärften. Im nachhinein muss ich sagen: Das war vielleicht eine Überschätzung der Sicherheitsvorkehrungen…

…wie meinen Sie das?

Ich wurde wenige Tage später von Leuten, die nach dem 11. September Flugreisen unternommen haben, darüber belehrt, dass ein martialisches Auftreten der Sicherheitskräfte auf den Airports nicht unbedingt mehr Sicherheit als vorher bedeutete. In Berlin haben wir einen einigermaßen guten Sicherheitsstandard, aber was nutzt das, wenn das Flugzeug auf irgendeiner Ferieninsel abhebt, wo schlampig kontrolliert wird?

Wann wussten Sie, dass auch Berlin neue Sicherheitsstandards braucht?

In der ersten Woche nach dem 11. September gab es für mich keine Zweifel mehr, dass sich für alle westlichen Großstädte die Sicherheitsfrage neu stellt. Besonders in den Hauptstädten, die symbolhaft für ihr Land stehen. Inzwischen möchte ich das ein klein wenig relativieren. Zwar weiß niemand, ob der 11. 9. ein singuläres Ereignis war oder ob sich ähnlich Schreckliches wiederholen wird. Heidelberg zumindest hat gezeigt, dass wir Taten fanatisierter Einzeltäter nicht ausschließen können. Konkrete Hinweise für Berlin indes haben wir nicht. Aber von einer Dauerbedrohung durch Terroranschläge dieser Größenordnung gehe ich nicht aus.

Sie pflegen das Prinzip Hoffnung?

Nein, nicht nur. Denn es gab bis weit in den muslimischen Bereich hinein eine Betroffenheit. Und damit fiel ein Stück Nährboden für diese Art von Terrorismus weg.

Auf einmal wurde über Dinge geredet, die vor dem 11. September für viele ein Tabu waren. Zum Beispiel über die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze.

Nach diesem schrecklichen Ereignis sind die Menschen auch in Berlin näher zusammengerückt. Das ist ein normaler Effekt, wie nach Naturkatastrophen. Aber trotzdem muss man sagen: Ein Anschlag wie vom 11. September ist mit Videoüberwachung nicht zu verhindern. Vielleicht kann man damit e inen Selbstmordattentäter auf dem Weg zu einer Botschaft erkennen. Aber den Anschlag kann ich damit nicht verhindern.

Ist dies das Risiko einer offenen Gesellschaft? Würde noch mehr Überwachung der Demokratie schaden – als indirektes Ergebnis der Attentate?

Wenn man die freie Gesellschaft will, wird man sich nie hundertprozentig gegen ein Attentat schützen können. Ich bezweifle übrigens auch, dass man sich in einer unfreien Gesellschaft hundertprozentig schützen kann.

Aber die freie Gesellschaft ist verwundbar?

Die freie Gesellschaft ist verwundbarer. Aber sie setzt vielleicht auch weniger Anlässe für ein Attentat.

Weniger Anlässe?

In einer freien Gesellschaft ist die Notwendigkeit, sich in einer politisch oder sonstwie extremistisch verzweifelten Situation nur noch mit Attentaten bemerkbar machen zu können, nicht gegeben.

Das gilt für eine innere Opposition, aber doch nicht für Islamisten. Für jene ist doch das gesamte westliche Wertesystem ein Gegner.

Ja und Nein. Ist unser Wertesystem für sie verwerflich oder ist für sie verwerflich, wenn wir versuchen, ihnen unser Wertesystem aufzuzwängen? Ich habe keinerlei Verständnis für Islamisten. Aber ich habe schon den Eindruck, dass ein Teil von ihnen eigentlich nur von der westlichen Welt in Ruhe gelassen werden will. Dieses darf aber niemals Terrorakte rechtfertigen.

Können Sie sich vorstellen, dass der Jahrestag des 11. 9. Terroristen herausfordert, sich auch in Berlin bemerkbar zu machen?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder wird am 11. 9. nichts passieren, weil potenzielle Attentäter damit rechen müssen, dass hier extrem gut aufgepasst wird. Oder der 11. 9. als Symboltag lädt dazu ein, irgendwelche vermeintliche Signale setzen zu wollen. Wie gesagt, Einzeltaten kann man nicht ausschließen. Besonders gefährdet sind amerikanische und israelische Einrichtungen, für die wir seit dem 11. September einen extrem hohen Sicherheitsstandard aufrechterhalten. Aber wir haben in Berlin keine konkreten Hinweise auf Aktivitäten für diesen Tag.

Gilt diese Einschätzung auch noch bei einem denkbaren Angriff auf den Irak?

Nein. Obwohl die meisten Araber mit dem Irak nichts zu tun haben wollen, könnte es dann Solidarisierungen geben, die sich bei Demonstrationen zeigen. Also keine Anschläge, sondern aus emotionalisierten Demonstrationen heraus könnte es zu Gewalttätigkeiten kommen. Das aber müsste durch die Polizei handelbar sein.

Ist Berlin sicher genug?

Wenn sie eine freie Stadt haben wollen, ja.

Das Gespräch führten Barbara Junge, Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach

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