zum Hauptinhalt

Berlin: „Wir müssen den Protest aushalten“

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit über die Studentenstreiks, Reformen für die Bildung und die Frage, wie Berlin wieder zu Geld kommen soll

Berlin liegt finanziell und wirtschaftlich am Boden, die Bürger haben den Sparkurs satt, und jetzt streiken auch noch die Studenten. Herr Wowereit, wo bleibt das Positive?

Ich denke, es gibt genügend Positives. Die Stadt entwickelt sich, auch wenn es noch große Probleme gibt und die Betroffenen protestieren.

Haben Sie keine Angst, dass die Stimmung in der Stadt kippt?

Nein. Nehmen wir ruhig die Hochschulen. Die Universitäten haben mit den neuen Rahmenverträgen finanzielle Planungssicherheit bis 2009. Die Kürzung von 75 Millionen Euro wurde schon im Sommer im Konsens mit den Universitäten und Fachhochschulen beschlossen. In diesem Rahmen müssen die Hochschulen die nötigen Strukturreformen anpacken, um auch international konkurrenzfähig zu bleiben. Das hat die Studenten mobilisiert. Deren Aktionen sehe ich durchaus als ein legitimes Mittel. Als einen Auftrag an die Politik, und zwar bundesweit, bildungspolitische Reformen zu verwirklichen.

Das wären?

Verkürzung der Schulzeiten und der Studiendauer, Umstrukturierung der Studiengänge, aber auch eine bessere materielle Ausstattung der Universitäten. Ich bin für die Einführung von Studiengebühren fürs Erststudium, wenn der größte Teil dieser Einkünfte in den Universitäten bleibt und diejenigen, die es sich nicht leisten können, erst später bezahlen, wenn sie einen Job haben. Außerdem muss sich die deutsche Wirtschaft stärker für die Universitäten engagieren. Mit Stiftungsprofessuren, Spenden und Sponsoring.

Sind die Bilder von den Hochschulstreiks in Berlin nicht ein fatales Signal?

Eine Imagewerbung für Berlin ist das sicher nicht, aber Demonstrationen gehören zur Demokratie. Interessant ist doch: Viele junge Leute wollen trotzdem in Berlin studieren. Wir haben 85000 ausfinanzierte Studienplätze mit 135000 Studenten. Das gibt es nirgendwo sonst in der Republik. Studentenproteste haben wir übrigens bundesweit. Natürlich müssen die Bibliotheksangebote, die technische Ausstattung, die Relation von Lehrenden zu Studenten verbessert werden. Da ist vieles nicht in Ordnung. Aber selbst die reichen Länder – Bayern oder Baden-Württemberg – sind nicht mehr in der Lage, zusätzliche Milliarden Euro in die Hochschulen zu pumpen.

Die Studenten in Berlin protestieren auch gegen die Einführung von Studienkonten…

…für Langzeitstudenten und das Zweitstudium. Darauf hat sich die SPD/PDS-Koalition geeinigt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich daran noch etwas ändert. Es ist doch abenteuerlich, wenn eine Lehrerausbildung im Durchschnitt 17 Semester dauert.

Sind die Hochschulproteste nicht Ausdruck für die Großwetterlage in Berlin? Die finanziellen Spielräume werden immer enger, und es ist kaum noch möglich, politisch zu gestalten.

Nach dem Urteil zur Verfassungswidrigkeit des Landeshaushalts ist der Senat sogleich gescholten worden, dass zu wenig gespart worden sei. Aber bei jeder konkreten Sparmaßnahme werden wir umgekehrt auch an den Pranger gestellt. Was soll denn nun gelten? Wir haben einen sozial ausgewogenen Haushaltsentwurf für 2004/05 vorgelegt; wir können jede Kürzung vertreten, auch wenn sie die Betroffenen nicht glücklich macht. Es führt kein Weg an diesem Kurs vorbei. Dann müssen wir auch den Protest aushalten. Wenn die Koalition das nicht schafft, sind wir bei der Politik à la Diepgen: sich verschulden und auf Hilfe von außen hoffen. Nein! Berlin muss seine Hausaufgaben machen.

Was folgt denn aus dem Urteil des Landesverfassungsgerichts?

Absolute Sicherheit, wie das Urteil richtig umzusetzen ist, gibt es nicht. Aber ich sehe weiterhin Spielräume für die Haushaltspolitik, der Senat bleibt in der Lage, notwendige Zukunftsentscheidungen zu treffen. Wir werden nun alle öffentlichen Ausgaben im nächsten Etat sehr gut begründen müssen. Sparmaßnahmen, die erst 2006/07 vorgesehen waren, werden vielleicht vorgezogen, und darüber hinaus kann es noch die eine oder andere Änderung im Etat geben. Etwa bei Maßnahmen, die wir neu einführen wollten. Das wird jetzt natürlich besonders schwierig. Das Urteil verpflichtet uns, strengere Maßstäbe anzulegen als bisher. Alle notwendigen Ausgaben werden trotzdem geleistet.

Das wären?

Zum Beispiel die Kindertagesstätten. Berlin hat ein Kita-Angebot, das bundesweit konkurrenzlos ist, auch nach der Gebührenerhöhung. Da sage ich klipp und klar, diese Mehrkosten müssen hingenommen werden, wir werden diesen Standard nicht abbauen und etwa die Zugangsberechtigung für die Kitas reduzieren. Diese Mehrkosten wird der Senat plausibel begründen.

Sie schauen jetzt ständig nach Karlsruhe, wo die Klage Berlins auf Sanierungshilfen des Bundes liegt. Die reichen Bundesländer machen dagegen Front…

…na klar…

…und Berlin steht ziemlich alleine da.

In Karlsruhe entscheiden nicht die Länder, sondern das Bundesverfassungsgericht. Berlin nimmt mit seiner Klage ein Recht in Anspruch, das jedem anderen Land genauso zustehen würde. Bayern kann sich freuen, nicht in einer extremen Haushaltsnotlage zu sein. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts kann uns bei der Klage in Karlsruhe helfen. Aber auch schaden, wenn der Eindruck entsteht, dass Berlin keine weiteren Anstrengungen mehr unternimmt.

Die CDU hat eine Enquete-Kommission vorgeschlagen, in der unabhängige Experten Vorschläge zur Sanierung Berlins erarbeiten sollen. Kann das nicht eine Hilfe sein?

Wenn dieser Vorschlag wirklich gut gemeint ist, wenn dort Sachverstand einfließt und eine Offenheit da ist, die Strukturprobleme Berlins zu analysieren und zu lösen, dann wäre es tatsächlich eine Unterstützung der Position des Landes Berlin. Regierung und Opposition können sich gegenseitig viel um die Ohren hauen, das ist legitim, aber unabhängig von der Farbe der Partei haben wir ein gemeinsames Interesse, für die Menschen in der Stadt etwas zu tun und auch vor dem Bundesverfassungsgereicht erfolgreich zu sein. Eine Art Corporate Identity für Berlin. Alles, was in diese Richtung führt, kann ich nur begrüßen.

Und was tut der Senat, um für die Hauptstadt in Bund und Ländern zu werben?

Die Kollegen Ministerpräsidenten erkennen inzwischen durchaus, was in Berlin geleistet wird und welche Aufgaben die Stadt wahrzunehmen hat. Aber wir sind ein pluralistischer, föderaler Staat mit harten Verteilungskämpfen. Und im Bundestag ist Berlin ein kleines Land. Nordrhein-Westfalen oder Bayern haben sehr viel mehr Abgeordnete, um ihre Eigeninteressen durchzusetzen.

Es geht ja nicht nur um materielle Interessen.

Stimmt. Ich finde es auch gut, wenn wir den intellektuellen Diskurs über die Frage, was bedeutet die Hauptstadt Berlin für die Republik, weiterführen. Jeder Denkanstoß ist wichtig, und ich freue mich, wenn im Bundestag darüber diskutiert wird, ob die Doppelstrukturen in Bonn und Berlin aufrecht erhalten werden sollen. Diese Diskussion kann nicht vom Senat geführt werden. Sonst sieht es so aus, als wenn Berlin immer nur was haben will. Es gibt durchaus Initiativen von außen, um der Hauptstadt zu helfen. Aber Hauptstadtbewusstsein lässt sich nicht so einfach implementieren. Solche Debatten sind schwierig, wie wir beim NOK gesehen haben, das in Frankfurt am Main bleibt. Obwohl wir ein gutes Angebot gemacht haben.

Trotzdem könnte die Hauptstadtdebatte von Berlin aus forciert werden, um Bund und Länder stärker unter Zugzwang zu setzen.

Seit kurzem gibt es eine Föderalismus-Kommission, der beispielsweise auferlegt wurde, die Struktur der Bundesländer nicht anzutasten. Solche Denkverbote finde ich falsch. Als Mitglied dieser Kommission werde ich natürlich versuchen, die Hauptstadtfragen einzubringen. Inwieweit das gelingt, kann ich noch nicht abschätzen.

Die desolate wirtschaftliche Lage Berlins wird mit einer Hauptstadtdiskussion nicht zu verbessern sein. Müssen wir uns auf Dauer damit abfinden, dass die Stadt auf keinen grünen Zweig kommt?

An der wirtschaftlichen Schwäche der Stadt wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Der Senat nutzt jede Chance, durch Direktansiedlung oder beispielsweise durch die Förderung des Tourismus neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber die Umstrukturierung des öffentlichen Sektors und der privaten Wirtschaft, an der kein Weg vorbeiführt, ist längst nicht abgeschlossen und kostet mehr Arbeitsplätze, als wir bisher neu gewinnen können. Um so unverständlicher ist es, wenn der CDU-Landesvorsitzende und Bezirksbürgermeister Joachim Zeller sich wie ein Provinzpolitiker mit großer Kraft dagegen wehrt, dass sich der Bundesnachrichtendienst im Berliner Zentrum ansiedelt. Das muss aufhören. In dieser Frage müssen alle an einem Strang ziehen.

Ist die Fusion mit Brandenburg ein Rettungsanker für Berlin?

Alle Parlamentsparteien in beiden Ländern haben sich zu dem Zeitplan bekannt: Volksabstimmung 2006, Fusion 2009. In Berlin gibt es für die Vereinigung eine breite Zustimmung, und ich selbst bin ein überzeugter Verfechter dieser Idee. Ein gemeinsames Land setzt neue Kräfte und Kapazitäten frei, und es lässt sich vieles einfacher koordinieren. Die Brandenburger haben größere Probleme mit der Fusion. Wir brauchen deshalb auf Brandenburger Seite Menschen, die nicht nur politische Erklärungen abgeben, sondern mit voller Überzeugung für die Länderfusion kämpfen.

Wenn es nicht zur Fusion kommt, muss dann die Hauptstadt einen anderer Weg gehen? Muss Berlin einen Sonderstatus erhalten, ähnlich wie Washington D.C.?

Ich bin, was diese Frage betrifft, kein Ideologe. Mir geht es darum, dass es der Stadt gut geht. Ein guter Weg für Berlin wäre es, Teil der Ländergemeinschaft zu bleiben. Oder noch besser: eine Stadt in einem starken Land Berlin-Brandenburg zu werden. Sollte der Bund aber das Ziel verfolgen, Berlin einen Sonderstatus zu geben und auskömmlich zu finanzieren, müsste man ernsthaft darüber diskutieren. Aber es bleibt eine Scheindebatte, solange niemand weiß, woher das nötige Geld kommen soll.

Das Gespräch führten Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false