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Berlin: „Wir müssen neue Formen einer missionarischen Kirche wagen“

Der Theologe Paul Michael Zulehner rät der hoch verschuldeten katholischen Kirche in Berlin, die Krise zur inhaltlichen Erneuerung zu nutzen

Das Erzbistum Berlin muss 148 Millionen Euro Schulden abbauen, die Unternehmensberater von McKinsey raten, 440 Mitarbeiter zu entlassen, die Zahl der Gemeinden zu halbieren und sich auf Kernkompetenzen der Kirche zu konzentrieren. Über die Krise in der katholische Kirche in Berlin und die Krise als Chance sprachen wir mit dem Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner. Er lehrt an der Universität Wien und hat in den vergangenen Jahren grundlegende Reformen in der katholischen Kirche angemahnt.

Was raten Sie den Berliner Katholiken?

Es wäre gut, wenn es gelänge, einen Übergang zu gestalten, als nur einen Untergang zu verwalten. Der Blick nach vorne verlangt, nicht nur an die Fusion von Gemeinden zu de nken, sondern zugleich neue Gemeinden zu gründen und neue Formen einer missionarischen Kirche zu wagen.

Sie raten in der finanziellen Krisensituation zu einer neuen pastoralen Gründerzeit?

Das Erzbistum Berlin muss 148 Millionen Euro Schulden abbauen. Die Unternehmensberater von McKinsey raten 440 Mitarbeiter zu entlassen und die Zahl der Gemeinden zu halbieren. McKinsey kann aber nur die ökonomischen Ziele vorgeben, die inhaltlichen muss das Bistum selbst definieren. Wenn das Bistum nur die Finanzen saniert, dauert die Krise fort und kommt morgen wieder.

Wie würde denn die Gemeinde der Zukunft aussehen?

Wir werden uns von vielen lieb gewonnenen Vorstellungen trennen müssen. Das Entscheidende wird dabei das Evangelium Jesu Christi bleiben. Wenn auf Grund einer missionarischen Pastoral Menschen in das Evangelium eintauchen, könnten vielfältige Glaubensnetzwerke wachsen. Und das nicht unbedingt in gewachsenen PfarreiStrukturen. Zukunft hat nicht eine Priester- oder Expertenkirche, sondern eine Beteiligungskirche.

Das heißt, es bräuchte keine Priester mehr?

Doch, natürlich brauchen wir auch in Zukunft Priester, aber ihre Rolle würde sich ändern. Wahrscheinlich werden sich zwei Arten von Priestern herausformen: solche, die Gemeinden gründen, andere die Gemeinden leiten. Die einen arbeiten dann mehr in größeren Räumen, die anderen hingegen lokal. Vielleicht werden wir morgen die lokalen Priester aus gemeindeerfahrenen Personen wählen. In den Gemeinden von morgen unter den aktiven Jungsenioren werden viele Personen zur Verfügung stehen, randvoll mit dem Evangelium, pastoral erfahren, bereit, das Evangelium modernen Menschen zu bezeugen. Sie werden miteinander und ehrenamtlich eine ihnen vom Bischof anvertraute Gemeinde leiten. Ihr Lohn wird dann buchstäblich Gotteslohn sein, leben werden sie hingegen von ihrer eigenen Rente.

Aber kehren nicht immer mehr Leute den Kirchen den Rücken?

Aus einem jahrzehntelangen Gottesfasten ist wieder eine Art Gotteshunger erwachsen, das zeigen viele Umfragen. Der spirituelle Markt in den westlichen Großstädten boomt wie noch nie zuvor. Die Frage ist nur: Warum boomt die Sehnsucht und schrumpfen die Kirchen?

Spirituell Suchende sind sehr unterschiedlich...

Und nicht alle werden gleich in die lokalen gläubigen Netzwerke kommen. Deshalb braucht es künftig zusätzlich zu den gemeindlichen Netzwerken in einer Stadt wie Berlin Schwerpunktkirchen: etwa eine für die Jugend, eine für Atheisten, in denen manchmal ein verschüttetes Glaubensahnen ist, eine für Musikliebhaber. Warum sollte es nicht auch eine Schwerpunktkirche für anspruchsvolle Intellektuelle geben? Dazu kommen missionarische Projekte. Wien, Paris, Brüssel und Lissabon haben sich beispielsweise zurzeit zu einer Stadtmission zusammengetan.

Und was ist mit der Eucharistiefeier und den vielen Ritualen?

Die Eucharistiefeier ist und bleibt das Herzstück lebendiger Gemeinden: sie ist Quelle und Höhepunkt kirchlichen Lebens. Die Kraft einer Ortskirche lebt aus der Kraft der Eucharistie. Die Gottesdienste müssen aber wieder mehr ihre innere Kraft entfalten und dürfen nicht, wie der Wiener Caritaspräsident Schüller einmal klagte, zu religiös verschönten Konditoreibesuchen verkommen. In den Gottesdiensten wird heute generell zu viel geredet, vor allem über Moral und Ethik. Aber es öffnet sich oftmals kein Raum mehr für die Gegenwart Gottes, für die heilende Mystik.

Die Schwerpunktkirchen, die Netzwerke, wer soll das bezahlen?

Ein solches Kirchenmodell wird finanziell freier sein, weil viel mehr mit Ehrenamtlichen geschehen wird. Eine Studie im Vikariat Wien-Nord zeigt, dass es für eine lebendige Gemeinde günstig ist, wenn in ihr 1500 Menschen zusammen sind: da können sich genug Dienste entfalten und sich viele gläubige Gruppen bilden, die Gemeinschaft erleben.

Die Fusionen der Pfarrgemeinden würde demnach vielen Gemeinden gut tun.

Eine gewisse Größe ist günstig. Die Gefahr besteht aber darin, dass bestimmte Größen in Eile administrativ verordnet werden, statt von unten wachsen zu können. Ein Eingriff in gewachsene Strukturen braucht Mut und Fing erspitzengefühl.

Sehen Sie eine Chance für diesen Aufbruch in Berlin?

Ich gehe davon aus, dass die Erzdiözese jetzt eine schmerzliche Lektion lernt. Die finanzielle Sanierung ist unvermeidlich. Zu wünschen ist aber, dass die harte Zeit nicht in einer Post-McKinsey-Depression endet, sondern zu einem neuen Aufbruch führt. Das Bistum könnte sich durch den Psalm 127 inspirieren lassen: Wenn der Herr das Haus nicht baut, reformiert auch McKinsey vergeblich.

Das Gespräch mit Paul Michael Zulehner führte Claudia Keller.

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