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Voller Optimismus. Damit Kinder mit Lerneifer ins Leben starten können, brauchen sie die Unterstützung der Eltern. Ob die Gesellschaft notfalls mit Sanktionen eingreifen sollte, wenn sich die Eltern verweigern, wird heftig diskutiert. Das Bild zeigt Schüler der Erika-Mann-Grundschule in Wedding während eines Theater-Workshops.

© Kitty Kleist-Heinrich

Debatte um Migranten: "Wir müssen uns nur trauen"

Was tun gegen Integrationsverweigerer? Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky fordert Geldkürzungen bei einem Missbrauch staatlicher Leistungen – und eine bessere Infrastruktur für Kinder.

Von Sabine Beikler

Der Streit um die Thesen von Thilo Sarrazin hat erneut eine Diskussion über Integrationspolitik entfacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte am Wochenende eine offene Debatte über Integration und sprach in der „Bild am Sonntag“ über „Versäumnisse der vergangenen 30 Jahre“. Es geht nicht nur um Migranten, sondern auch um Aufstiegschancen von deutschen Kindern aus sozial schwachen Familien. Wo aber kann der Staat eingreifen und bei Leistungsmissbräuchen praktikable Sanktionen gegen Eltern verhängen? „Wir haben gesetzliche Spielräume“, sagt Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). „Wir müssen uns nur trauen, die Möglichkeiten auch anzuwenden.“

Beispiel Kindergeld: Verwaltungsjurist Prof. Günter Witzsch kommt in einem vom Tagesspiegel in Auftrag gegebenen Gutachten zu dem Ergebnis, dass Kindergeld gestaffelt gezahlt werden könnte. Buschkowsky befürwortet Kürzungen beim Kindergeld in einem abgestuften System. „Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt kein Kindergeld auf das Konto“, sagt er vereinfacht. Die jetzige Möglichkeit, Bußgelder zu verhängen, sei dagegen enorm aufwendig. Dass das Kindergeld tatsächlich den Kindern zugute komme, könne man auch jetzt schon nicht sicherstellen. „Aber man kann Eltern ihr Leben unbequem machen, wenn Geld für den Konsum fehlt.“

Buschkowsky, Mitglied im SPD-Parteirat, findet eine Staffelung des Kindergeldes durchaus sinnvoll, da es „Synergieeffekte“ gebe. Jüngere Geschwister könnten Spielzeug oder Kleidung der älteren Geschwister nutzen. Eine generelle Obergrenze des Kindergeldes wie in den Niederlanden ist laut Gutachten dagegen verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Dies war angesichts von migrantischen Großfamilien, die vom Kindergeld auskömmlich leben, in die Debatte gekommen. Generell verfassungskonform dagegen sind laut Gutachten Bildungsgutscheine oder Chipkarten. Buschkowsky sieht Gutscheine allerdings als „Übergangsformen für den Einstieg in eine neue Philosophie“. Damit meint er den Aufbau einer staatlichen Infrastruktur, die weitgehend den Bedarf eines Kindes abdeckt: bundesweit kostenlose Krippen, Kitas, kostenloses Mittagessen und kostenlose Schulbücher. „Als Antwort auf die demografischen Herausforderungen muss der Staat Kinderkriegen so komfortabel wie möglich machen“, sagt Buschkowsky.

Diese Infrastruktur sollte über einen „Familienfonds“ finanziert werden, der laut Gutachten auch verfassungskonform wäre. In den Fonds würde ein Teil des Kindergeldes fließen. Buschkowsky würde dafür das Kindergeld um 50 Prozent kürzen. Die Länder könnten dann individuelle Projekte umsetzen, für die Fondsgelder vergeben werden. „Damit wird verhindert, dass Länder die Gelder nicht zur Deckung ihrer Schulden verwenden“, sagt Buschkowsky.

Soziale Verwerfungen wie in Neukölln würden sich verfestigen, sagt der SPD-Politiker. Deshalb müsse eine „tabufreie Diskussion“ über Sanktionen und Integration geführt werden. Buschkowsky befürchtet aber, „dass wir nicht mehr zur praktischen Integrationspolitik, sondern nur zur Sprechblasenolympiade kommen“.

Klartext wird vermutlich auch Thilo Sarrazin am heutigen Montag sprechen. Er nimmt teil an einer Podiumsdiskussion mit der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Linke) und Klaus Bade, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Das Thema heißt „Besser integriert – Migration und demografischer Wandel“.

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