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Berlin: „Wir Opfer müssen auch vergeben können“

Auf der Baustelle des Mahnmals geht es voran. Zaungäste finden es richtig, dass Degussa weiter beteiligt ist

Träge setzt sich der gelbe Baukran in Bewegung, an den Fundamenten wird gearbeitet, ein Bagger dröhnt. Es geht wieder voran auf der Baustelle in Mitte, da, wo das Holocaust-Mahnmal errichtet wird. Vor dem Zaun steht eine Schulklasse und schaut auf die ersten Betonstelen, die schon aufgestellt worden sind. „Um den Graffitischutz für die Stelen hat es Streit gegeben“, sagt Sascha Mallabar, einer der Schüler. Auf kleinen Karteikarten hat er sich Stichpunkte notiert, er ist eben gut vorbereitet auf sein Kurzreferat über das Mahnmal. „Einige Leute waren dagegen, dass die Firma Degussa den Graffitischutz liefert“, sagt Sascha. Weil die Degesch, eine Degussa-Tochter, früher für die Nationalsozialisten Zyklon B produziert habe „Aber jetzt darf Degussa doch weiter- machen“, erzählt Sascha seinen Mitschülern.

„Ist allen klar, was das bedeutet“, fragt die Lehrerin. Sascha und die anderen nicken. Sascha findet es gut, dass Degussa dabeibleibt. „Weil die ihre Vergangenheit aufgearbeitet haben und kein Geheimnis daraus machen“, sagt er. Ganz ähnlich hat sich auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse geäußert, als er am Donnerstagabend die Entscheidung des Stiftungskuratoriums bekannt gab.

So wie der 17-jährige Sascha Mallabar denken fast alle, die an diesem Tag an der Mahnmalbaustelle vorbei kommen. „Degussa ist heute doch nicht mehr die gleiche Firma wie vor 60 Jahren“, sagt ein älteres Ehepaar aus Steglitz. Degussa habe sich schließlich intensiv mit seiner Vergangenheit auseinander gesetzt. Das Argument hört man immer wieder, wenn man Passanten auf die Kuratoriumsentscheidung für Degussa anspricht.

„Wir Opfer müssen auch vergeben können“, sagt ein kleiner Mann mit grauem Bart. Er ist Professor an der Princeton University in den USA und Jude. Fast seine ganze Familie ist in Treblinka ermordet worden. „Es ist so viel Zeit seitdem vergangen, jetzt müssen auch wir Opfer den Deutschen die Chance geben, Gutes zu tun“, sagt er. Trotzdem könne er verstehen, dass es für einige Juden schwer sei zu ertragen, dass ausgerechnet Degussa am Mahnmal mitbaut.

„In der heutigen Zeit spielt die Vergangenheit der Degussa doch überhaupt keine Rolle mehr“, sagt eine junge Frau. Sie ist 28 Jahre alt und möchte ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. „Meine Generation hat mit der ganzen Nazi-Sache doch nichts mehr zu tun“, sagt sie.

„Der Nationalsozialismus ist Teil unserer Geschichte“, sagt Heinz Knauth, ein 67-jähriger Rentner aus Essen. „Wenn wir Deutschen ein Denkmal zur Erinnerung an den Holocaust errichten, dann ist es nur konsequent, wenn es auch von deutschen Firmen gebaut wird“, sagt Knauth. Ansonsten mache das ganze Mahnmal, als Zeichen der historischen Verantwortung, doch gar keinen Sinn. Das ist wohl auch das, was Wolfgang Thierse meinte, als er sagte, die Vergangenheit rage in unsere Gesellschaft hinein.

Dagmar Rosenfeld

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