zum Hauptinhalt

Berlin: „Wir sind stolz, Deutschtürken zu sein“

Junge Männer aus dem Wrangelkiez bekennen sich zum Rechtsstaat. Sie fordern Treffs für Kids im Kiez

Heißen Pfefferminztee haben sie schon Montagfrüh im „Café Segafredo“ gemeinsam getrunken. Auf das Krisengespräch am Abend sind Murat, Mehmet und Senol dann bestens vorbereitet. Die jungen Männer aus dem Wrangelkiez wollen mit Bezirksbürgermeister Franz Schulz, Vertretern der Polizei und Quartiersmanagern in einen Dialog eintreten, warum die Gewalt im Kiez eskalierte. Und schon bei dem ersten Treffen gab es gestern Übereinstimmungen. Der wichtigste Konsens: „Gewalt darf im Kiez keinen Platz haben.“ Außerdem müssten die Angebote des Quartiersmanagements dringend verbessert werden, betonten alle Gesprächsteilnehmer.

Murat, Mehmet und Senol wissen „die Straße“ hinter sich. Denn am vergangenen Wochenende hatten sie mit 200 anderen Jugendlichen und jungen Männern abgestimmt, wer von ihnen das Wort ergreift und was Thema sein soll.

Es sind unerwartete Töne, die sie anschlagen. Sie seien „stolz darauf“, in diesem Land zu leben – als „Deutschtürken“, wie Murat sagt. Deshalb hätten sie am Wochenende eine Demo gestoppt, zu der eine „Antifa-Gruppe“ aufgerufen hatte. „Wir haben unsere Leute abgezogen“, sagt Senol, der Wortführer im Kiez. Und er erklärt, warum es nicht ihre Sache war: „Da gab es Hasstiraden gegen den Staat.“

Dabei geriet fast jeder der Jugendlichen im Wrangelkiez schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt. „Natürlich war ich Rebell mit 16 Jahren“, sagt Murat. Aber spätestens mit Mitte 20 wisse man, „dass es so nicht weitergehen kann“. Deshalb kämpft der 23-Jährige nun um einen Ausbildungsplatz als Einzelhandelskaufmann. Und damit es den Kindern künftig nicht so geht wie ihnen, fordert der 31-jährige Senal einen Treffpunkt, der die Jugendlichen von der Straße lockt.

Eine Woche nach der Eskalation von Gewalt im Wrangelkiez ist der Meinungsaustausch zwischen den jungen Männern auf der Straße und Verantwortlichen in den Verwaltungen eröffnet. Die raschen Ermittlungen haben Präsident Dieter Glietsch „Respekt“ verschafft. Murat hat ein Schreiben erhalten: Er soll als Zeuge aussagen. Murat und Mehmet hatten beobachtet, wie zwei 12-Jährige in Handschellen festgenommen wurden, weil sie einem Jugendlichen den MP3Player rauben wollten. Als sie gegen den massiven Einsatz protestierten, soll ein Polizist gesagt haben: „Geht doch zurück in eure Heimat“. Dann eskalierte die Gewalt.

„Unsere Heimat ist Deutschland“, sagen die jungen Männer. „Als ich noch in der Schule war, war die Hälfte der Kinder Deutsche“, sagt Senol. Als der zehn Jahre jüngere Murat die Schule besuchte, waren schon in drei von vier Klassen nur türkischstämmige Kinder. „Warum werden Klassen nicht gemischt?“, fragt er. Denn er weiß heute, dass ihn die „türkische Klasse“ sprachlich zurückwarf.

„Die Jungs sind auf der Straße, weil es seit 15 Jahren keine offenen Treffs gibt“, sagt Senol. In den Bezirk flössen doch genug Gelder für Sozialprojekte – „doch es kommt nichts hier an.“ Er selbst hat sein Leben umgekrempelt, als sein Sohn zur Welt kam: Senol bietet Graffitikurse für Kinder an und gründete ein Rap-Label. Mit einem Haus, das auf die Jugendlichen im Kiez zugeschnitten wäre, gäbe es einen anderen Treffpunkt für die Kinder aus dem Quartier – und die Straße wäre out.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false