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Bär im Nacken. Die Migranten müssten sich auch anstrengen, alle Menschen hätten Rechte und Pflichten, sagte Renate Künast. Viele Delegierten wollten nicht so klar formulieren.Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Berlin: „Wir umarmen die ganze Stadt“

Spitzenkandidatin Renate Künast beschwört die Einheit der Grünen. Aber Probleme mit Migranten wollen nicht alle klar benennen

Von Sabine Beikler

Im Hintergrund lacht der grüne Bär. Vor seiner Silhouette steht die Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin und spricht zu 155 Delegierten. 42 Minuten lang stellt Renate Künast im Ramada-Hotel die Präambel des Wahlprogramms vor. Es ist eine gute Rede für die Delegierten, die beide Parteiflügel befriedet. Mit dem Programm wolle die Partei „die ganze Stadt“ umarmen, sagte Künast. „Wir stellen uns breit auf.“ Doch nur eine gute Stunde später muss Künast ans Rednerpult treten und das klare Benennen von Defiziten in der Integrationspolitik verteidigen. Es geht um die urgrüne Diskussion, wie viel Fördern und Fordern die Partei vertreten will, wie deutlich sie Rechte und Pflichten formuliert. 82 Delegierte, also 55,8 Prozent, stimmen schließlich dafür, im Wahlprogramm Probleme bei Migranten klar zu benennen. 61 Delegierte lehnen dies ab.

Diese parteiinterne Debatte war absehbar. Künast sprach bereits in ihrer Eingangsrede von einer Willkommenskultur, „sogar für die, die schon da sind“. Und sie sagte an die Adresse der Migranten gerichtet, dass sie sich auch „anstrengen“ müssten. Die „rote Linie“ setze ihre Partei bei Problemen wie Zwangsverheiratungen. „Es gibt sogenannte Ehrenmorde, Gewalt“, sagte sie. Sie sei aber in einer Partei, „wo wir den Mut haben, auszusprechen, was ist“. Alle Menschen hätten Rechte und auch Pflichten. „Unsere Aufgabe heißt auch, diejenigen darauf anzusprechen, wenn man ein anderes Verhalten erwartet.“

Monika Hermann, Grünen-Jugendstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg, wandte ein, man wolle mit bestimmten Aussagen keine Vorurteile bedienen. Im Programm habe sie „nichts von Willkommenskultur“ gelesen. „Wir wollen Probleme nicht pauschal Migranten zuschreiben“, sagte ebenso Alexander Klose, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Migration. Auch Migranten würden benachteiligt. Er sehe die Gefahr, dass das Programm „defizitorientiert“ gelesen werde.

Die Grünen sprechen in ihrem Wahlprogramm von einer gemeinsamen Verantwortung für Integration und von verschiedenen „Milieus“. Es gebe Migranten, die sich zu Recht nicht in einem „Zerrbild“ wiederfänden, „das durch Schlagworte wie verbrecherische Familienclans, sogenannte Ehrenmorde, Drogenhandel und islamischer Fundamentalismus bestimmt ist“. Wo immer es solche Probleme gebe, müssten sie mit den Migranten „konsequent angegangen“ werden. In dem Alternativentwurf, der keine Mehrheit fand, ist allgemein von Integrationshindernissen die Rede, die gemeinsam überwunden werden müssten.

In der Finanzpolitik legten sich die Grünen auf 500 Millionen Euro Einsparungen in der kommenden Legislaturperiode fest. 250 Millionen sollen in der Verwaltung gekürzt werden, 250 Millionen Euro will die Partei bei Subventionen streichen. Damit sind auch Leistungen im Sozialbereich gemeint.

Künast verteidigte das mehr als 100-seitige Wahlprogramm. Es sei ein „konkretes Programm“, das nicht aus „Spiegelstrichorgien“ bestehe und nichts vorschreibe. Die Grünen würden Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammenbringen. Man wolle „Blockaden“ lösen, jeder könne sich einbringen. Künast wiederholte ihre Forderung nach einer neuen politischen Kultur, „in der alle mitreden sollen“. Arbeit, Bildung und Klimaschutz sind die Schlüsselprojekte, mit denen die Grünen in den Wahlkampf ziehen.

Rot-Rot habe eine „dürftige Bilanz“ vorzuweisen. Berlin brauche einen Senat, der sich „Zukunftsaufgaben“ stelle. Konkret kritisierte Künast, dass der Senat es bisher nicht geschafft habe, den „Leuchtturm Charité“ abzusichern. „Rot-Rot hat dazu nie eine Entscheidung getroffen. Das nennt man in Berlin Chefsache“, sagte die Grünen-Politikerin unter großem Applaus. Vivantes und Charité sollten keine Konkurrenz aufbauen, stattdessen sollten sie unter einer „rechtlichen Konstruktion aus einer Hand“ geführt werden.

Die Delegierten stimmten über das Wahlprogramm ohne große weitere Debatten ab. Am Sonntag geht der Parteitag im Ramada-Hotel mit dem Thema Bildung und der Wahl der beiden designierten neuen Landesvorsitzenden Daniel Wesener vom linken Flügel und der Realpolitikerin Bettina Jarasch weiter.

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