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Berlin: „Wir werden euch nicht in Ruhe lassen“

Innensenator Ehrhart Körting über den Verfolgungsdruck auf die terroristische Szene, die Verschärfung der Sicherheitsgesetze und den Umgang mit Islamisten

Was ist Ihre stärkste Erinnerung an den 11. September 2001?

Das schrecklichste Bild war der Einschlag des zweiten Flugzeugs mit der Explosionswolke. Man wusste: Da sterben jetzt Menschen. Aber es hatte auch etwas Unwirkliches. Da passierte etwas, was man sich nicht vorstellen konnte.

Hat es Sie erschreckt, als sich nach zwei, drei Tagen der Fahndung plötzlich die Verbindung nach Hamburg zeigte, zu dieser Zelle um Atta?

Diese Verbindung nach Hamburg hat uns alle sehr beunruhigt. Es gibt Gruppierungen, die mit den Methoden, die wir damals angewandt haben, nicht greifbar waren. Doch es waren keine Schläfer, es waren Studenten, die radikalisiert worden sind und die ab diesem Zeitpunkt eine Gruppe bildeten, die keine Außenkontakte mehr hatte. An solche Gruppen kommt man natürlich sehr schwer heran.

Aber diese Gruppe hat sich sehr bewusst in Hamburg aufgehalten, nicht in London oder Birmingham oder Madrid. Und das gibt doch zu denken.

Zu denken gab damals jedenfalls, dass es über diese Gruppe offensichtlich keine Informationen gegeben hat.

Mit Blick auf die Sicherheitslage in Deutschland?

Solche Gruppen bilden sich nicht in Oberammergau, sondern dort, wo die Anonymität am größten ist, im Ruhrgebiet, in Frankfurt, in Hamburg – oder eben in Berlin. Und wenn jemand symbolhafte Anschläge verüben will, dann entweder im Zentrum der Macht oder im Zentrum des Geldes, im Frankfurter Bankenviertel. Oder – wenn man gezielt die Amerikaner treffen will – auf eine amerikanische Militärbasis. Derzeit haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass terroristische Anschläge in Berlin bevorstehen. Es wäre aber blauäugig zu glauben, dass es im Netz des internationalen Terrorismus keine Querverbindungen nach Berlin gibt.

Wie hat sich die Gesellschaft durch den Terror der Islamisten verändert?

Der 11. September hat bei den Leuten Ängste erzeugt, die noch nicht weg sind. Er hat, fürchte ich, bei den Muslimen in Deutschland Ängste erzeugt, die dazu geführt haben, dass sie sich noch weiter zurückziehen. Das sehe ich auch unter Sicherheitsgesichtspunkten kritisch: In einer offenen Gesellschaft muss man offen miteinander kommunizieren können. Wenn Angst die Leute leitet, findet keine offene Kommunikation mehr statt. Aus diesem Grund besuche ich jetzt Moscheen: um den Dialog weiter zu führen. Ich glaube außerdem, dass es eine Gewöhnung an die terroristische Bedrohung gibt, nach dem 11. September, nach Bali, nach Madrid. Das ist vielleicht verständlich – aber wir sollten uns nicht an Terroranschläge gewöhnen.

Haben wir die falsche Hoffnung, wir würden nicht angegriffen, weil wir beim Irak-Krieg nicht mitgemacht haben?

Die Bundesrepublik ist gegen Anschläge nicht gefeit. In allen Sicherheitseinschätzungen zeigt sich, dass sich dieser Hass, den diese Terroristen gegen die westliche Lebensart haben, auch gegen die Bundesrepublik richtet. Abgesehen davon haben wir Soldaten in Afghanistan dabei. Deswegen sitzen wir im selben Boot mit den Amerikanern, auch wenn wir da nicht als Kapitän sitzen.

Ist die Gesellschaft intoleranter geworden? Würden wir auch über das Kopftuch streiten, wenn es den 11. September nicht gegeben hätte?

Ohne die Anschläge wäre eine Debatte über das Kopftuch oder darüber, wie wir uns mit Islamisten auseinander setzen, viel später gekommen. Darüber hätten wir uns vielleicht in zehn Jahren unterhalten. Wir haben in Berlin bei 200000 Muslimen gerade mal 4000 Islamisten. Das ist eine verhältnismäßig geringe Zahl. Die meisten dieser 4000 Islamisten glauben in einer Verklärung ihrer Religion, dass diese mit dem Staat eins sein sollte. Die meisten sind aber mitnichten gewaltbereit. Gewaltbereit sind nur ganz wenige Islamisten.

Führt das Kopftuchverbot dazu, dass die Gefahr wächst? Dass sich Gruppen nicht integrieren, sondern abschotten?

Es geht nicht nur um ein Kopftuchverbot, es geht um alle religiösen Symbole, und das auch nur in bestimmten Bereichen des öffentlichen Dienstes. Davon unabhängig haben wir hier nur einen relativ geringen Teil von Muslimen, die für das Kopftuch sind, aber gleichzeitig Druck ausüben auf die anderen, sie würden die Religionsvorschriften missachten. Diesen Druck wollen wir durch das Kopftuchverbot mindern, damit Mädchen in der Schule nicht auch noch eine Kopftuchlehrerin vorfinden. Wir haben die Prognose, dass wir damit den Druck verringern und verhindern können, dass die Segregation in der Diaspora weiter geht. Ob diese Prognose richtig war oder ob wir andere Instrumente brauchen, müssen wir irgendwann überprüfen.

Nach dem 11. September hat es heftige Diskussionen gegeben über die Verschärfung von Sicherheitsgesetzen. Haben sich die Anti-Terror-Gesetze bewährt?

Wenn Sie fragen, was wir verhindert haben, dann kann ich sagen: glücklicherweise nichts. Weil nichts passiert ist. Aber das Instrumentarium ist schärfer geworden. Die Sicherheitsgesetze haben etwas gebracht bei der Frage der Informationsbeschaffung, beim Geldverkehr oder der Telefonüberwachung. Bei denen, die etwas vorhaben, ist das Bewusstsein gewachsen, dass Deutschland für sie ein gefährliches Pflaster ist. In dieser Szene hat der aufgebaute Verfolgungsdruck das Signal gesetzt: Wir werden euch nicht in Ruhe lassen. Aber eine absolute Sicherheit gegen terroristische Aktionen kann es nicht geben. Ich kann staatliche Einrichtungen und Botschaften schützen, aber es gibt für Terroristen eine unendliche Zahl von weichen Zielen wie etwa die Schule in Beslan oder die Disco in Bali.

Es wird kritisiert, gerade Geldbewegungen seien kaum überwacht.

Wir können feststellen, ob es bestimmte Geldflüsse gibt. Unsere Arbeit basiert darauf, Informationen zu sammeln, ohne dass die Betroffenen merken, dass wir sie im Visier haben. Wir können die nicht fragen, was hinter den Geldflüssen steht, können aber Schlüsse daraus ziehen. Das ist wenig, aber schon wesentlich mehr, als wir vor 2001 tun konnten.

Die diskutierte Zusammenlegung der Verfassungsschutzämter der Länder kommt nicht voran.

Der Verfassungsschutz ist nach meinem Verständnis ein Frühwarnsystem für verfassungsfeindliche Bestrebungen und er soll solche Entwicklungen vor Ort dokumentieren und darstellen. Alles auf eine Ebene zu ziehen, halte ich für keine geeignete Idee – auch wenn sie von Otto Schily kommt. Ich bin aber sehr dafür, bei der Terrorismusbekämpfung, die sich ja nicht gegen Berlin oder Thüringen richtet, sondern gegen die Bundesrepublik als Ganzes, eine stärkere Verzahnung zu schaffen. Da muss es eine absolute Verbindlichkeit beim Nachrichtenfluss zwischen Bund und Ländern geben.

Werden wir bald nach amerikanischem Beispiel fälschungssichere Ausweise bekommen?

Einen möglichst fälschungssicheren Ausweis zu haben, ist von allgemeinem Interesse und unabhängig von der Terrorismusbedrohung. Die Debatte ist davon nur verstärkt worden. Dass ich neben dem Foto auch biometrische Daten aufnehme oder eine Iriserkennung mache, um Menschen zu identifizieren, halte ich nicht für unzumutbar. Dadurch werden bei den Betroffenen keine Rechte verletzt.

Müssen wir die DNA-Analyse stärker nutzen?

Was ich bei der DNA-Analyse speichere, sagt nach meiner Kenntnis nichts aus über die Persönlichkeit. Datenschützer wenden ein, wir wissen nicht, ob das in fünfzehn Jahren doch möglich ist. Das darf man auch nicht so einfach vom Tisch wischen. Deshalb ist die Bundesjustizministerin Zypries zu Recht ein wenig zurückhaltend. Die Innenpolitiker aber verlangen ein bisschen mehr. Wir werden sehen, ob wir da zu einem Kompromiss kommen.

Soll man Terrorismus-Verdächtige abschieben, auch wenn sie wie in Hamburg, mangels Beweisen freigesprochen werden?

In unserem Rechtsstaat darf jemand nur verurteilt werden, wenn man ihm die Tat nachweisen kann. Die Frage der Ausweisung ist etwas anderes. Bei der Ausweisung geht es um die Frage, ob sich jemand in Gruppierungen bewegt hat, die ein Gedankengut gepflegt haben, das mit unserer Verfassung nicht vereinbar ist. Das haben beide Angeklagten in Hamburg getan. Die waren beide inhaltlich voll in der islamistischen, fundamentalistischen Szene drin und haben deren Ziele gefördert und unterstützt. Das reicht für eine Ausweisung.

Sie sagen, es gibt in Berlin etwa 4000 fundamentalistische Islamisten und davon sind etwa 50 gewaltbereit. Warum weisen Sie die nicht aus?

Wir haben ein Prüfverfahren für eine zweistellige Zahl von Leuten laufen. Wir haben festgestellt, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Leute die deutsche Staatsangehörigkeit hat, und ein zweiter Teil der Betroffenen hat Aufenthaltsrechte, die ganz schwer zu widerrufen sind. Um den dritten Teil dieser Leute kümmern wir uns. Ungeachtet der Frage, ob sie Terroristen sind, geht es ausschließlich darum, ob sie Anhänger einer islamistischen Organisation sind, die auch gewalttätig ist. Wer die westliche Gesellschaft ablehnt und sie für des Teufels hält, der soll dieses Land verlassen.

Warten Sie mit der Ausweisung, bis das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft ist?

Nein, wir führen bei den Ausweisungsfällen sogar schon Anhörungen durch. Die Problematik der Zukunft liegt aber nicht in den Ausweisungen. Die Vorstellung, dass es vor allem um reisende Terroristen geht, die hier Sprengstoffanschläge verüben wollen, ist falsch. Es muss uns einfach gelingen, Fundamentalisten und Muslime zu trennen, und den Muslimen der Stadt auf Dauer das Gefühl zu vermitteln: Ihr seid Bürger unserer Stadt. Wenn uns nicht gelingt, sie zu integrieren, dann haben wir irgendwann wie in den Vorstädten von Paris oder Lyon Gruppen von sozialen Underdogs, die anfällig für extremistische Positionen sind. Da stellt sich überhaupt nicht mehr die Frage der Ausweisung. Dann habe ich ein ganz hohes Potenzial von deutschen Staatsangehörigen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich so radikalisieren wie Atta oder seine Komplizen.

Gibt es solche anfälligen Underdogs auch hier bei uns?

Bei jugendlichen Ausländern haben wir in Berlin eine Arbeitslosigkeit von 40 Prozent. Das hat viele Gründe, nicht nur Versäumnisse des Staates. Vielfach liegt das auch in den ausländischen Familien begründet. Wenn die Eltern mit den Kindern nicht deutsch sprechen, sind die Chancen der Kinder auf eine bessere Zukunft schon minimiert. Wenn ich 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit habe, dann kann das dazu führen, dass sie leichter den Einflüsterungen von Fundamentalisten ausgesetzt sind, die ihnen sagen, ihr habt einen so schlechten sozialen Status, weil ihr Muslime seid, und deshalb müsst ihr kämpfen gegen diese Welt.

Sehen Sie das schon bei Jugendlichen?

Glücklicherweise noch nicht. Aber das ist es, was ich Zukunft verhindern muss. Das ist noch wichtiger als die Frage, ob ich 2 oder 15 Leute ausweisen kann.

Das Gespräch führten: Werner van Bebber, Jost Müller-Neuhof, Gerd Nowakowsk i.

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