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Daddeln bis der Arzt kommt. Im Casino Berlin auf dem Alexanderplatz am Fuß des Fernsehturms sind die Spielautomaten gut besetzt.

© Thilo Rückeis

Spielsucht: Wo Armut regiert, gedeiht das Glücksspiel

Junge Migranten sind von der Spielsucht besonders betroffen. Eine Selbsthilfegruppe fordert strenge Kontrollen und ein besseres Präventionsprogramm.

In Spielotheken hat die Sonne keinen Zutritt. Dort regiert die Trostlosigkeit und die Hoffnung auf den großen Gewinn. Baris Eyüp (Name geändert) sagt, er habe dort jahrelang seine innere Einsamkeit bekämpft. Der 35-Jährige ist spielsüchtig. Angefangen hat alles 1998, als er als Import-Ehemann aus der Türkei nach Deutschland kam. Er sprach kein Deutsch, fühlte sich isoliert. Durch Zufall betrat er eine der blickdicht abgeklebten Spielotheken. Irgendwann konnte seine Frau das Essen für sich und die zwei gemeinsamen Kindern nicht mehr bezahlen. Lange schwieg sie, flüchtete später zu Verwandten. „In der Türkei gelten Spielsüchtige als absolute Verlierer“, sagte Kazim Erdogan, Psychologe und Initiator der Selbsthilfegruppe türkischstämmiger Männer in Deutschland.

In Berlin leben rund 34 000 Spielsüchtige. „Etwa 40 Prozent davon haben einen Migrationshintergrund“, sagte Erdogan. Im Zuge der Neuregelung des Glücksspiels und der Konzessionsvergabe für Spielautomaten in Deutschland fordert seine Selbsthilfegruppe, die staatliche Kontrolle weiter auszubauen und ein ausgearbeitetes Präventionsprogramm in allen Berliner Kiezen anzubieten. Am vergangenen Mittwoch hatte die SPD ein neues „Gesamtkonzept zur Eindämmung von Spielhallen und Spielsucht“ und den Entwurf eines bundesweit erstmaligen Spielhallengesetzes für Berlin vorgestellt. Es sieht unter anderem ein Verbot von Mehrfachkonzessionen, einen Mindestabstand zwischen zwei Spielhallen und die Reduzierung der Gewinnmöglichkeit an Automaten von momentan 500 auf 150 Euro pro Stunde vor.

„Das ist nicht genug. Verbote und Einschränkungen alleine helfen nicht“, sagte die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram. Es bedürfe vor allem niedrigschwelliger Angebote in Berlin, welche die Betroffenen, aber auch die gefährdeten Gruppen erreichen. Ihre Partei wolle deshalb am kommenden Dienstag einen entsprechenden Antrag im Senat stellen. „Solange es Spielangebote gibt, wird es auch Spielsüchtige geben“, sagte Erdogan. Mehr Angebote würden jedoch für das Thema sensibilisieren und es aus der Schmuddelecke herausholen. „Nur zwei von zehn türkischen Männer outen sich, aber wir müssen an alle Familien herankommen.“

Von der Sucht seien in erster Linie junge Männer mit Migrationshintergrund betroffen. Aber auch die Frauen und Kinder, die unter der Sucht ihrer Männer litten und aus Scham schwiegen. Wo die Armut regiere, habe das Glücksspiel Hochkonjunktur, sagte Erdogan. Der Weg in die Beschaffungskriminalität sei bei einer Verschuldung nicht weit. In den Spielhallen frage niemand nach dem Alter, sagte der Ex-Spielsüchtige Berkant Mehmet (Name geändert). „Stattdessen wird einem noch etwas zum Essen hingestellt. Auf’s Haus, versteht sich.“ Es sei schwer, der Versuchung zu widerstehen, ergänzt Eyüp. Er lacht verstohlen, als er sagt, dass er seit eineinhalb Jahren nicht mehr gespielt habe. Recht glauben mag Erdogan es ihm nicht, aber eines sei wahr: „Seitdem er vor fünf Wochen zu uns kam, hat er sich an alle Regeln gehalten.“ Und sein Mitstreiter Mehmet weiß aus eigener Erfahrung. „Du hörst erst auf, wenn du kapiert hast, dass der Automat immer der Sieger ist.“

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