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Berlin: Wo die Grünen die Alten sind

In Charlottenburg trifft Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig (65) auf die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill (40)

Von Sabine Beikler

Die Werbebotschaft ist klar: „Frisch trifft billig“. So steht es an der Tür vom Supermarkt am Klausenerplatz. Grün-rot für die Ladentheke sozusagen. In der realen Politik ist von so einer Klarheit nicht immer so viel übrig. Da konkurrieren zwischen Ku’damm (bürgerlich) und Klausenerplatz (proletarisch) eine 40-jährige Frau mit Migrationshintergrund und eine 65-Jährige, die seit Jahren durch die politischen Institutionen marschiert. Wobei die Jüngere, Ülker Radziwill, für die SPD steht und die ältere, Franziska Eichstädt-Bohlig, für die Grünen.

An einem Sonnabendmorgen sitzen am Klausenerplatz Menschen mit verknitterten Gesichtern und gucken zu, wie SPD-Direktkandidatin im rotes Kostüm ihren Wahlkampfstand aufbaut. Ein Kind bekommt einen Luftballon, den Vater fragt sie: „Ich darf Ihnen ein Tütchen mit Materialien mitgeben? Heute Nachmittag ist Familienfest am Lietzensee. Klaus Wowereit ist auch da.“ Das erwähnt sie oft. Nur eine Grundschullehrerin, Anfang 50, will davon nichts wissen: „Sie sollten mal bei uns hospitieren. Von wegen, man tut alles für die Bildung. Hör’n Se auf. Die SPD kann ich nicht mehr wählen.“ Früher sei ihre Familie in der SPD gewesen. „Jetzt sind alle ausgetreten.“ Die Frau redet sich in Rage. Ülker Radziwill hört zu. Sie kennt die Probleme, ist Mitglied in der Schulkonferenz einer Ganztagsschule. Bildung sei ja nur ein Teil der Politik, sagt sie. So habe sie mit durchgesetzt, dass die Investitionsbank für Mittelständler Förderprogramme aufgelegt hat. Das interessiert die Lehrerin nicht. Um kurz nach 10 Uhr erscheint Karin Schubert als Wahlkampfhelferin. Die Justizsenatorin macht mit dem Ärger der Lehrerin kurzen Prozess. Man müsse nicht in einer Partei sein, um sie zu wählen. „Ich bin auch aus der Kirche ausgetreten und bete trotzdem“, sagt Schubert und lacht. Radziwill lacht mit, und die Pädagogin schweigt.

Ülker Radziwill ist hier im Kiez aufgewachsen, ihre Eltern arbeiteten als Grundschullehrer. Die 40-jährige Touristikfachwirtin kennt das aktive Kiezbündnis, die Schulen und Kitas. Radziwill sitzt seit 2001 im Abgeordnetenhaus und leitet den SPD-Arbeitskreis Migration. Sie zählt die Probleme im Wahlkreis auf: die steigenden Mieten der städtischen Wohnungen, die 30-prozentige Arbeitslosenquote unter den Migranten, die rund um den Klausenerplatz wohnen.

Die Gegend hat eine lange proletarische Tradition. Hier war eine Hochburg der KPD, was den Nazis große Schwierigkeiten bereitete, deren Schlägertruppe SA bei Einsätzen energisch behindert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog hier Ernst Reuter von Kneipe zu Kneipe, um die KPD-Genossen für die SPD anzuwerben. Und noch heute ist das Gebiet südlich der Otto-Suhr-Allee mehrheitlich sozialdemokratisch geprägt. Ülker Radziwill hat hier im Wahlkreis 3 vor fünf Jahren das Direktmandat mit deutlichem Vorsprung vor CDU und Grünen gewonnen.

Der Kaiserdamm teilt den Wahlkreis, südlich von ihm beginnt der gutbürgerliche Teil, der sich bis fast zum Ku’damm erstreckt. Am Karl-August-Platz, nicht weit vom Savignyplatz entfernt, herrscht am Sonnabendvormittag Markttreiben. Hier diskutiert man eher über die geplante Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung. Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig drückt den Passanten Wahlbroschüren in die Hand: „Für Grün im Parlament“, ruft die 65-Jährige Stadtplanerin, Architektin und frühere Baustadträtin in Kreuzberg, die wie Radziwill in Charlottenburg lebt. Elf Jahre war sie Bundestagsabgeordnete und hat erst in diesem Jahr den Wahlkreis übernommen. Sie kommt mit einem pensionierten Verwaltungsbeamten ins Gespräch. Wie man kommunale Beschäftigung steigern könne, wie den vielen Mittelständlern geholfen werden könne, dass Bildungspolitik kein Elitenthema sei. Die beiden sind sich recht einig. Eichstädt-Bohlig spricht ernst, argumentativ, ein Politikprofi, aber wenig bekannt unter den Wählern. „Sie stürzen mich in Zweifel“, sagt der Mann. Er würde ja sonst Linkspartei wählen, aber jetzt wolle er noch einmal nachdenken.

Der grüne Kreisverband hofft, dass Eichstädt-Bohlig erstmals für die Grünen in Charlottenburg ein Direktmandat gewinnt. Sie selbst ist skeptisch. Die Grünen hätten hier einen guten Stand, aber ob das für den ganzen Wahlkreis reiche, sei fraglich. 2001 holte ihre Vorgängerin Elfi Jantzen im Wahlkreis 13,9 Prozent Erststimmen – Ülker Radziwill kam auf 38,3 Prozent.

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