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Berlin: Wo Kunden gesunden

Die Elisabethklinik in Tiergarten versorgte einst einen Problemkiez – heute hat sie sich spezialisiert und wirbt offensiv um Patienten. Wie ein Krankenhaus sich den neuen Zeiten anpasst

Das Plakat ist nicht zu übersehen. Drei mal fünf Meter groß, giftgrüner Hintergrund, davor ein quittegelbes Männchen mit erhobenem Zeigefinger. „Dickdarmpolypen“ steht auf dem Plakat, das aus dem Fenster eines Seniorenheimes in der Lützowstraße hängt. Und dazu ein Termin für eine Info-Veranstaltung.

Über so etwas redet man nicht. Man kratzt auch nicht, wenn’s juckt. Aber was ist, wenn man zum Beispiel Hämorrhoiden hat? Oder glaubt, es könnten welche sein? So richtig weiß man es ja nicht, und die Internetrecherche bringt auch nicht letzte Klarheit – wer klickt sich schon genau dahin, wo man suchen muss? Und vielen älteren Mitbürgern, also denen etwa ab 50 aufwärts, geht es mit dem Internet ohnedies so wie weiland Helmut Kohl, der Datenautobahnen für sechsspurige Straßenverbindungen hielt.

Das Sich-nicht-reden-Trauen und die Schamhaftigkeit haben aber eine ernste Kehrseite: So, wie sich harmlose Erkrankungen durch unangenehme Beschwerden bemerkbar machen können, gibt es auch sehr schwerwiegende Krankheiten mit banalen Frühsymptomen. Darmkrebs gehört dazu, aber auch Diabetes. Wie bringt man die Unwissenden, die Patienten und die, die es werden könnten, mit den Wissenden, den Ärzten, zusammen? Das haben sich auch die Mediziner der Elisabethklinik gefragt. Deshalb hängen sie jetzt jeden Monat ein neues Plakat aus dem Fenster des Altenheimes, das auch auf dem Klinikareal seinen Platz hat. Mal geht es um Gallensteine, mal um Hämorrhoiden, um Schlüssellochchirurgie, Diabetes, künstliche Knie- und Hüftgelenke.

Und natürlich geht es nicht nur um die Gesundheit, sondern – wie in allen Krankenhäusern – auch ums Geschäft. Und ganz viel um den Weg dorthin: die Werbung.

Und Werbung hatte das alte Elisabethkrankenhaus nötig. Das war jedenfalls die Anamnese, die Befunderhebung des Ärztlichen Direktors, Frank-Rainer Müller, und seines Geschäftsführers Alexander Mommert, als sie vor einigen Jahren die Arbeit aufnahmen. Das Elisabethkrankenhaus hat nämlich nicht nur eine Geschichte – es ist nach der Charité die zweitälteste Klinik Berlins –, sondern auch eine bewegte Vergangenheit. In der Zeit, in der die Mauer noch stand, war die Potsdamer Straße, mit der sich die Lützowstraße kreuzt, eine Sackgasse. Eine, die es in sich hatte. Man wusste damals bei Dunkelheit nicht so genau, wo der Straßenstrich aufhörte und die Rettungsstelle anfing. Das medizinische Hauptgeschäft waren Schuss- und Stichverletzungen, Geschlechtskrankheiten und die Folgen diverser Drogensüchte. Auf der Mauer rund ums Krankenhaus rollte sich der Stacheldraht – Schutz vor unerwünschten Besuchern. Dennoch war es nicht nur eine Problem-, sondern auch eine echte Kiezklinik: Als der Senat 1978 das Krankenhaus dichtmachen wollte, trugen sich 30 000 Menschen in die Protestlisten ein.

Heute ist jeder froh, dass die Landesregierung sich vor mehr als einem Vierteljahrhundert davon beeindrucken ließ. Denn die Elisabethklinik liegt jetzt nicht mehr am Rande, sondern mitten in der wiedervereinigten Stadt. Das kam, weil 1989 die große Mauer fiel und mit ihr bald auch die kleine um das Krankenhaus. Besucher kommen seit langem nur mit friedlichen Absichten. Die Gegend ist zwar immer noch nicht im Dahlemer Sinne bürgerlich, aber grundanständig ist sie schon. Die Elisabethklinik wurde vom Keller bis zum Dach modernisiert, bekam ein schickes neues Bettenhaus für die Chirurgie, wurde Unfallschwerpunktkrankenhaus, Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité und vor ein paar Monaten wurde ein Zentrum für Lasermedizin eröffnet. Hier werden Tumore und Blutschwämme beseitigt, die Patienten reisen aus ganz Deutschland an.

Aber im Kiez ins Gespräch bringen will man sich trotzdem wieder. Schließlich hat sich das 200-Betten-Haus spezialisiert, zum Beispiel auf bestimmte, besonders schonende Operationstechniken und die Implantation künstlicher Knie- und Hüftgelenke. Deshalb also, seit rund einem Jahr, jeden Monat eine Info-Veranstaltung, mit Schwerpunktthema, Lichtbildvortrag, Fragestunde, Chefärzten zum Anfassen, Vieraugengesprächen und, ganz wichtig, kaltem Büfett aus der Krankenhausküche zum Auflockern der Stimmung.

Mal erscheinen fünf, mal 50 Zuhörer. Meistens haben die Frauen die Männer im Schlepptau, sie gehen mit dem Thema Krankheit offener um. Dann kommt alles an Wehwehchen zur Sprache, auch das, was nicht auf der offiziellen Themenliste stand. Und gar nicht selten werden gleich Termine gemacht, weil die Schwellenangst überwunden ist. Die meisten Besucher sind Ältere, aber wenn es zum Beispiel um Physiotherapie geht, melden sich auch die Jüngeren – wenn das Krankenhaus eine ärztlich überwachte Alternative zum Fitnesscenter bietet, ist das schon eine Nachfrage wert.

Ob sie jetzt tatsächlich viele zusätzliche Patienten gewonnen haben, können Alexander Mommert und Frank-Rainer Müller kaum sagen. Aber sie haben das Gefühl, dass sie auf dem richtigen Weg sind, und wollen deshalb nun auch die Kirchengemeinden ansprechen. Das bringt, so hoffen sie, noch mehr Kontakte. Schließlich läuft nicht jeder durch die Lützowstraße und fragt sich, warum da ein Plakat zum Thema Dickdarmpolypen aus dem Fenster hängt.

Schuss- und Stichverletzungen würden die Unfallchirurgen in der Elisabethklinik natürlich immer noch behandeln können. Aber die Nachfrage ist einfach nicht mehr da.

www.elisabeth-klinik-berlin.de

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