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Berlin: Wo sind Hitlers Mauer und Schloss Sachsensouci?

Was man als englischsprachiger Fremdenführer in Berlin und Potsdam so alles gefragt wird

Als Reiseführer bin ich hier glücklich. Berlin ist keine glitzernde Metropole wie Paris oder Florenz. Aber dafür lockt es, nach meinen Erfahrungen, im Schnitt einfach die intelligenteren Besucher an. Viele der ausländischen Touristen, die an meinen Führungen teilnehmen, stellen sehr informierte Fragen. Sie tragen durchaus Positives zu meiner Berliner Erlebniswelt bei. Dann sind da aber die großen Ausnahmen, jene, die vor der komplexen Vergangenheit dieser Stadt kapitulieren und mit ihren Fragen diese Sternstunden des kulturellen Austauschs zunichte machen. Und das geht dann so:

In der Wilhelmsstraße, Ecke Niederkirchnerstraße, zucke ich regelmäßig zusammen, denn hier werde ich mindestens einmal pro Monat gefragt: „Warum haben die Nazis das Luftfahrtministerium vom SS-Hauptquartier aus gesehen auf der anderen Seite der Berliner Mauer gebaut?“

Noch besser: „Wo hat Hitler die Mauer gebaut? Oder war das Stalin? Oder Leningrad?“, wurde meine Kollege Per neulich gefragt. Eine andere Frau fragte mich ungeduldig in Potsdam: „Wann erreichen wir denn Schloss Sachsensouci?“ Im Juli wurde ich gefragt, ob wir „die Brandenburger Mauer“ auf dieser Führung sehen werden. Wie sollen wir Reiseführer auf solch ein Geschichtsvakuum reagieren? Müssen wir Verständnis dafür zeigen, dass diese Geschichte den Menschen, die weit weg in den USA oder Australien wohnen, fremder ist als uns in Europa? Oder dürfen wir lachen?

Einmal, das gestehe ich hier öffentlich, konnte ich nicht widerstehen, das Wissensgefälle schamlos auszunutzen. Ja, ich machte mich lustig über diese amerikanische Dame. „Waren die Nazis deutsch?“, fragte sie mich auf dem Pariser Platz. „Aha, das ist ja eine sehr interessante ,idiot savant‘-Frage!" – „Oh, ist es wirklich?“, entgegnete sie stolz. Möge die Geschichte über mich urteilen.

Ich gebe zu: Wir Reiseführer lieben solche Fragen eigentlich. Denn letztlich ist Ignoranz etwas Menschliches, und wir sind alle auf unsere eigene Art ignorant. Was mich aber wirklich beunruhigt, sind Bemerkungen von Touristen, die einen Mangel an Einfühlungsvermögen zeigen. Ich leite seit zwei Jahren Führungen zur Gedenkstätte Sachsenhausen. Hierbei zeige ich den Besucher die ehemaligen Baracken, wo hunderte Menschen unter unwürdigen Bedingungen hineingepfercht waren. Danach gehen wir in den Zellenbau. Ich erzähle am Ort des Schreckens, wie viele Häftlinge gefoltert oder ermordet wurden. Die Besucher schauen sich dann meist um. Viele lesen schweigend die Tafeln. Garantiert kommt inmitten dieser Stille dann einer auf mich zu und fragt: „Ich verstehe nicht, war es für die Häftlinge nicht viel besser, hier im Zellenbau als in der Baracke zu sein? Hier hatte man ja sein eigenes Zimmer.“ – „Ja“, will ich am liebsten aus Verzweiflung antworten, „Sie haben recht, die Häftlinge haben tatsächlich alles versucht, die SS zu nerven, um in den schönen Zellenbau (mit Zimmerservice) geworfen zu werden.“ Bis jetzt habe ich es geschafft, diesen Satz unausgesprochen zu lassen.

Der Autor ist Engländer und arbeitet als Fremdenführer und Journalist in Berlin.

Gabriel Fawcett

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