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Berlin: Wo vierzig polyphone Klingeltöne locken

Christel Kottmann-Mentz gehört zur Randgruppe der Handy-Verweigerer und Nicht-Fernseher. Wir haben sie zu einem Rundgang auf der Funkausstellung eingeladen

Es sind die Augen, Dummkopf. In der Fernsehflachbildschirmwelt zählt nur noch der Sehnerv. Im Samsung-Elektroniksalon läuft Golf auf dem 70-Zoll-Plasmabildschirm, dann Wildwasserkajak. Aber was ist mit den Farben los? Da hat jemand Glitzerkristalle reingemischt. „Sieht irre aus“, sagt Christel Kottmann-Mentz, die medienkritische Schulleiterin. Schon verführt? Geht das so schnell? Hinter ihren grünen Augen baut sich ein altbewährtes, kritisches Bewusstsein auf. „Davon wirst du doch süchtig“, sagt sie. Christel Kottmann-Mentz ist 60 Jahre alt. Die letzten 20 hat sie ohne Fernseher gelebt. Aufs Handy verzichtet sie auch. Auf der Internationalen Funkausstellung war sie noch nie. Wir haben sie zu einem Rundgang eingeladen. Der Plasmaschirm zeigt jetzt Bungee-Jumping. Christel Kottmann-Mentz fasst ihren Begleiter erschrocken am Unterarm. „Das macht mein Neffe auch.“ Wahrscheinlich hat er es im Fernsehen gesehen. Und nun muss er immer wieder am Fuß gefesselt in die Tiefe springen.

Da, wo der Fernseher stehen könnte, hängt in ihrer Wohnung das Bild einer Bauchtänzerin. Morgens, bei den Yoga-Übungen, schaut sie immer auf ein bestimmtes Detail. Bei Samsung hängen die Bilder nur wenige Sekunden, angetrieben von einer „Digital Natural Image Engine“. Das ist eine Maschine, die künstliche Bildkosmetik betreibt, um den „natürlichen Eindruck“ zu erreichen, sagt Hostess Stefanie. Eher beiläufig spricht sie auch von „Lebensqualität“, die man mit so einer Maschine sichtbar steigere. Da leuchten im kritischen Bewusstsein alle Alarmlampen auf. „Das ist eine völlig andere Lebensform, so mit Fernseher“, sagt Christel Kottmann- Mentz.

Vor dem „Executive Living Room“ steht ein Pulk Männer. Sie reden nicht miteinander, schauen aber alle in die gleiche Richtung. Drinnen steht einer dieser Großfernseher mit zwei Schallsäulen, die ordentlich Lärm machen. Gezeigt wird eine Autoverfolgungsjagd mit je einem erbitterten Mann am Steuer. „Schon diese Gesichter“, sagt unsere Ifa-Besucherin und schüttelt ihren roten Lockenkopf. „So ein Fernsehraum ist wie eine Zelle. Die Menschen isolieren sich.“ Das Nebeneinanderhersitzen vor der Glotze kennt sie aus ihrer Ehe. Die wurde irgendwann geschieden. Sie habe mal in ihrem Bekanntenkreis herumgefragt, sagt Christel Kottmann-Mentz. Da gebe es einige, die auf den Fernseher verzichten. Nach Schätzungen gehören immerhin 1,5 Millionen Deutsche zur Randkultur der Nicht-Fernseher. Wissenschaftler unterteilen in ideologische Abstinenz, Verzicht aus Zeitmangel oder zur Suchtprophylaxe. Bei Christel Kottmann-Mentz trifft alles zu.

Als sie in Afrika Entwicklungshilfe gemacht hat, war immer eine Super-8-Kamera dabei. Aus dem Material haben sie später einen Film geschnitten. Das findet die Schulleiterin sinnvoll und richtig. Wenn schon TV, dann selbst gemacht. Videokameras interessieren sie trotzdem nicht, weil sie auf Einladung türkischer Familien öfters mehrstündige Hochzeitsfilme angesehen hat – ungeschnitten. Das war etwas ermüdend. (Dazu ist zu sagen, dass Frau Kottmann-Mentz die deutsch-türkische Europaschule leitet.)

Aus „abstraktem Interesse“ lässt sie sich die neuen Foto-Handys erklären. Hostess Felicitas: „Die haben 40 polyphone Klingeltöne.“ Kottmann-Mentz: „Wozu brauch’ ich 40 Klingeltöne?“ 750 Telefonbucheinträge sind möglich. „Siebenhundertundfünfzig?“ Derartige Überschreitungen des menschlichen Maßes kommentiert sie mit einem despektierlich überdehnten „Ahää“. An ihrer Schule gab es wegen der Handys intensive Diskussionen. Besonders türkische Eltern möchten ihre Kinder jederzeit erreichen können. Die Schulleiterin hält das für übertriebene „soziale Kontrolle“. Das Handy, das scheinbar Freiheit produziert, wird zum Apparat der Fremdbestimmung. Dann war da noch diese Wanderung mit einer Freundin. Da ist man im einsamen Zittauer Gebirge. Und plötzlich dudelt die Jackentasche. Christel Kottmann-Mentz hat einen Anrufbeantworter. „Der ist nützlich.“ Und einen Computer zum Schreiben und Mailen. Und Radio und Tageszeitung, weil eine Pädagogin wissen muss, was läuft. Alles andere braucht sie nicht. Ein wenig sei es auch die Ungeduld, sich in technische Finessen einzuarbeiten. Dicke Romane lesen ist leichter.

In der Halle 1 treffen wir Herrn Schrath von dnt, das steht für „Drahtlose Nachrichtentechnik“. Herr Schrath ist stolz auf das „Fernglas mit Digitalkamera“, geeignet für die Personenerkennung bis zur Distanz von 70 Meter. „Das ist beim Grenzschutz im Einsatz.“ Frau Kottmann-Mentz ist entsetzt: „Das ist furchtbar. Das möchte ich nicht.“ Was Herr Schrath nicht wissen kann: Die Schulleiterin engagiert sich unter anderem für „Pro Asyl“. Sie will aber keine politische Diskussion vom Zaun brechen. Herr Schrath darf seine „wohl kleinste Digitalkamera der Welt“ zeigen, ein fotografierender Schlüsselanhänger für 24,95 Euro. Da wird das abstrakte Interesse zum ersten Mal konkreter.Ästhetisch sei sie schon, die neue Medienwelt. Aber das kritische Bewusstsein sendet Warnsignale: Das ist ein pseudodemokratischer Tempel des Kapitalismus. Dieser Ersatzreligion wird sie nicht verfallen. Die Fußball-WM vor einem Jahr hat Christel Kottmann-Mentz übrigens bei einer Freundin geguckt. Darauf wollte sie dann doch nicht verzichten.

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