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Berlin: „Wo würden wir hinkommen, wenn jeder jeden umbringt“

Die Nachricht über die Verurteilung und die zwei Freisprüche im Sürücü-Prozess war gestern auch Gesprächsthema der Gläubigen in der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Kreuzberg. „Die Richter konnten nicht anders entscheiden.

Die Nachricht über die Verurteilung und die zwei Freisprüche im Sürücü-Prozess war gestern auch Gesprächsthema der Gläubigen in der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Kreuzberg. „Die Richter konnten nicht anders entscheiden. Sie konnten den anderen Brüdern ja nichts nachweisen“, sagte beispielsweise Fatih Kesik (40) aus Kreuzberg. Das Urteil konnte er nachvollziehen, jedoch nicht die Tat. „Der Islam schreibt im schlimmsten Fall die Verstoßung der Tochter vor, aber nicht, dass sie umgebracht wird“, sagte der Kreuzberger Türke, der seit 1979 in Berlin lebt. Auch sein Freund Aydin Aslan (39), aus Ulm zu Besuch, war empört. „Wo würden wir denn hinkommen, wenn hier jeder jeden umbringen würde.“ In Ulm seien die Eltern in solchen Fällen höchstens ein halbes Jahr beleidigt und beruhigten sich dann wieder, behauptete er selbstbewusst. Doch nicht alle jüngeren Männer denken so. „Bei uns im Islam muss ein Mensch getötet werden, wenn er vom rechten Weg abkommt“, sagte zumindest einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Giyasettin Korti (39) aus Mitte war ganz anderer Meinung. „Von mir aus kann man die ganze Familie gleich morgen ausweisen.“ Aber deswegen gleich die Verschärfung von Ausländergesetzen zu verlangen, ärgert ihn. „Nur eine ganz kleine Minderheit denkt so radikal“, sagt er.

In Kreuzberg selbst kennt man die Familie Sürücü. „Ich hab früher immer gesehen, wenn die Hatun ihren Sohn in den Kindergarten gebracht hat“, sagte die gelernte Arzthelferin Cahide Muvafik (30). Die Kopftuchträgerin ist in Berlin geboren und will nicht glauben, dass die Eltern über die Tat Bescheid wussten. „Ich kenne keine Mutter, die sich den Tod ihrer Tochter wünscht“, sagte sie.

Die Schwestern Gönül und Nalan K. waren gestern davon überzeugt, dass der 18-jährige Bruder Hatuns so eine Tat nicht allein plant. „Schlimm finde ich, dass diese Taten unter Türken tabuisiert werden“, sagte Gönül. Ihre Schwester sieht aber eine Veränderung. „Die Tat wird beurteilt und ich finde das gut, dass unsere Leute darüber reden“, sagte sie.

Es sei schon ein Gewinn, wenn die Menschen überhaupt bei diesem Fall etwas reflektierten. Genauso waren die Schwestern der Ansicht, dass jetzt nicht „platte Politikerparolen“ nötig seien, sondern eine bessere Integrationspolitik.

Suzan Gülfirat

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